Blutprinz (German Edition)
Auto“, entschuldigte sich Natalie.
„Wie ärgerlich, leider haben Sie die Eröffnung und meine Ansprache verpasst. Aber nun sind Sie ja hier.“ Ein falsches Lächeln zierte das unrasierte Gesicht des kleinen Mannes. Kingston hob die Hände und winkte einen Kellner herbei. „Sekt?“ Ohne die Antwort abzuwarten, reichte er ihnen jeweils ein Glas. „Ich muss sagen, Sie haben wirklich wunderbare Arbeit geleistet, die Aktionäre sind begeistert.“ Er nahm einen Schluck Sekt und wischte sich mit der flachen Hand über den Mund. „Ich hoffe, Sie verzeihen mir den Stress, den ich Ihnen in den letzten Wochen bereitet habe, ja?“ Er verdrehte seine Augen und sein Mund formte ein breites Grinsen.
„Aber natürlich“, sagte Natalie.
Insgeheim war sie froh, Kingston als Auftraggeber los zu sein. Noch zwei Monate mit diesem schmierigen Kerl und Natalie hätte ihn wahrscheinlich erwürgt. Ein Blick in Tinas Gesicht genügte, um zu wissen, dass ihre Freundin hinter der Maske ihres Lächelns nicht anders dachte.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie nun gern ein wenig herumführen“, sagte Kingston und wandte sich um.
Er bot ihnen seine Arme an. Natalie dachte nicht daran, ihm diesen Wunsch zu erfüllen und Tina bewegte sich ebenso wenig von der Stelle. Schließlich zuckte Kingston mit den Achseln, senkte seine Ellbogen und ging los.
Die Glasfassade, welche die Büros im ersten Stock des Gebäudes von der umlaufenden Galerie und der Eingangshalle trennte, schirmte den Partylärm vollständig ab. André Barov genoss die angenehme Ruhe, die hier oben in Kingstons Büro nur vom leisen Summen der Klimaanlage gestört wurde. Mit verschränkten Armen ließ er seinen Blick über die Köpfe der unzähligen Kleinaktionäre schweifen, die sich wie Heuschrecken über das Buffet und die Sektbar hermachten. Viele von ihnen hatten eigens für diesen Abend Luxuswagen und teure Anzüge gemietet, nur um etwas darzustellen, das sie in Wirklichkeit nicht waren. Innerlich schüttelte er den Kopf über sie. Menschen. Marionetten ihrer eigenen Scheinwelt.
André nippte an einem Glas Wasser. Innerhalb der Meute entdeckte er Richard Kingston, wie er zum Eingang drängte, um zwei junge Damen in Empfang zu nehmen. André beobachtete Kingstons Gehabe mit wachsendem Interesse. Seinen Gesten zufolge mussten es die beiden Innenarchitektinnen sein.
André schloss die Augen, berührte die Glasscheibe und atmete ruhig. Er drang in Kingstons Geist ein und fand sich in der Menge wieder, vernahm den Lärm, die Musik, und blickte durch Kingstons Augen in die Gesichter der beiden Frauen.
Er konnte die Worte des Geschäftsführers hören, doch darauf achtete André nicht, denn seine ganze Aufmerksamkeit gehörte in diesem Moment der jungen Frau mit den feuerroten Locken. Die Ähnlichkeit der Fremden mit jemandem aus seiner Vergangenheit zog ihn in den Bann und weckte uralte, lange verdrängte Erinnerungen.
Das Läuten seines Handys holte André ins Büro zurück. Seufzend wandte er sich vom Fenster ab und nahm den Anruf entgegen. Der Anrufer atmete aufgeregt.
„Hier spricht Gerald. Verzeiht die Störung, aber es ist dringend.“
„Euch sei verziehen“, sagte André.
„Ihr hattet Recht mit Eurer Vermutung. Jemand lässt Euch beschatten.“
„Jäger?“ André trat wieder an die Glasfront, suchte und fand die junge Frau. Sein Blick folgte ihr so lange, bis sie unter dem Balkon der Galerie verschwunden war.
„Mein Bruder Romain hat zwei junge Halbblüter beobachtet, die Euch auf dem Weg zur Feier gefolgt sind“, antwortete Gerald.
„Halbblüter?“, wiederholte André verwundert. „Konntet Ihr sie stellen?“
„Nein, sie sind uns leider entwischt.“
„Bleibt dran und versucht mehr über die Sache herauszufinden. Ich möchte alles über die beiden erfahren. Alles. Setzt meinetwegen noch weitere Agenten darauf an.“
„Wie Ihr wünscht. Ich melde mich wieder.“
André ließ das Handy in der Brusttasche seines Sakkos verschwinden. Er sank auf Kingstons Bürostuhl, strich sich über sein angespanntes Gesicht und trank erneut einen Schluck Wasser. Mit der Zungenspitze fuhr er sich über die glatten Eckzähne, die sich unscheinbar in sein Gebiss einfügten. Nur wenn ihn Blutdurst oder fleischliche Lust überkamen, schoben sich die schlanken, gebogenen Fänge aus dem Kiefer, als einzig sichtbares Zeichen seines reinblütigen Vampirdaseins.
André überlegte, welchen Grund die beiden Halbblüter hatten, ihn zu
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