Blutrot - Die Farbe der Lust - Page, S: Blutrot - Die Farbe der Lust
an, während die gestrandete Reisende Sarahs Gesicht studierte. In ihrem Schlummer wirkte das Mädchen reizend.
Althea errötete verlegen. Es stimmte. Sie war überrascht, denn Sarah hatte während ihres kurzen Halts gedöst und hatte sich auch bei den darauffolgenden Vorstellungen und Diskussionen nicht gerührt. Aber sie würde sich hüten, darüber zu sprechen, warum das hübsche Blondchen so erschöpft war.
Die Frau hatte sich selbst als Madame Roi vorgestellt, nachdem sie Altheas Angebot angenommen hatte, sie bis zum nächsten Dorf mitzunehmen, wo sie ihr Nachtlager nehmen wollte. Madame sprach mit einem fremden Akzent, der aber sicher nicht französisch war. Sie hatte das Aussehen einer Zigeunerin – dickes, rabenschwarzes Haar, das sie unter der Haube geschickt aufgesteckt hatte, eine goldbronzene Haut und einen vollen, tiefroten Mund. Ihr Verhalten wirkte um einiges älter als ihr Erscheinungsbild, obwohl die langen Federn ihrer Haube die Augen verbargen.
Madame strich die Federn zurück. Mandelförmige Augen unter schweren Lidern maßen Althea abschätzig. Die schwarzen Wimpern wirkten, als wären sie mehrere Zentimeter lang.
Im ersten Moment hatte Althea vermutet, Madame Roi könnte eine Schauspielerin sein. Ein mit winzigen Saphiren besetztes Kropfband lag eng um ihren Hals und Saphire hingen auch von ihren Ohrläppchen. Ihre modische Kleidung mochte einen betrunkenen Gentleman täuschen, ein Vermögen für sie aufzubringen. Ihr eng geschnittener Umhang aus türkisfarbener Seide war an den Ärmeln und am Hals mit Zobel verbrämt. Darunter trug sie ein Kleid mit elfenbeinfarbenen Röcken.
Wenn sie keine Schauspielerin war, dann bestimmt eine Kurtisane. Sie war einfach übertrieben gekleidet für eine Reise. Aber jetzt sah sie, dass Madame eine noch viel zwielichtigere Person war. Ihr Lächeln war vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug, um die langen Eckzähne zu verbergen. Nicht alle Unsterblichen erlitten vom Sonnenlicht Schaden. Dass sie dazu gehörte, konnte nur bedeuten, dass Madame Roi ein sehr mächtiges Wesen war.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Yates, sie wird nicht aufwachen. Und wir beide haben eine Menge zu besprechen.“
Altheas Blick verfinsterte sich. Was hatte sie schon mit einer fremden Vampirin zu besprechen? Ihre Hand schloss sich um den Pflock, den sie in einer eingenähten Tasche auf der Innenseite ihres Umhangs verbarg. Das Kreuz an der Kette um ihren Hals baumelte bei jedem Schlagloch, durch das die Kutsche raste.
Die Frau tippte sich mit einem langen Finger, der in einem türkisfarbenen Lederhandschuh steckte, gegen das Kinn. „Ich sehe jetzt auch, warum Zayan Sie ausgewählt hat.“ Sie lächelte hinterhältig. „Ich vermute, Sie haben mit der hübschen, jungen Dame hier gerade sapphische Freuden geteilt.“
Zayan? Sapphische Freuden? „Wer sind Sie wirklich?“, verlangte Althea zu wissen.
„Ich bin die Königin der Vampire, meine Liebe.“ Sie streckte ihr die Hand mit einer königlichen Gebärde entgegen, als erwarte sie, dass Althea sich zum Handkuss darüberneigte, trotz der schwankenden Kutsche. In der Welt der Vampire hatte sich, wie in der Welt der Sterblichen, eine Hierarchie entwickelt. Eine Struktur, bei der die älteren, stärkeren Vampire die Macht für sich beanspruchten. Sie hatte von Vampirköniginnen gelesen, hatte Gerüchte gehört, es gebe sie bereits seit dem 13. Jahrhundert. Aber noch nie war sie einer begegnet. Und diese Frau, trotz ihres dreisten, arroganten Verhaltens, konnte unmöglich die Königin aller Vampire sein. Solch ein Wesen existierte nicht.
Oder doch? Wenn sogar Luzifer einen Vampir verpflichten konnte, nach seiner Pfeife zu tanzen – was war denn dann noch unmöglich?
Althea sollte sich eigentlich fürchten. Stattdessen stiegen hundert Fragen in ihr auf. Sie hielt noch immer ihre Waffe fest umklammert. Vampir oder nicht, die Frau hielt sich selbst für eine Königin, und sie strahlte eine Arroganz aus, als sei sie dazu berechtigt. Sie war wie Yannick, erkannte Althea.
Obwohl die Anschuldigung der Frau ihr die Schamesröte ins Gesicht trieb – zumal es ja auch stimmte –, dass sie sapphische Freuden mit dem Mädchen geteilt hatte, versuchte Althea, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen. „Was wissen Sie über Zayan?“
„Sie sollten mich mit ’Euer Hoheit’ anreden.“ Die dunklen, geschwungenen Brauen hoben sich hochmütig. Die silberschwarzen Augen – wie Quecksilber! – glitzerten im Sonnenlicht.
„Was meint
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