Blutrot wie die Wahrheit
dessen Verdeck zurückgeschlagen war und der zweifelsohne den Pratts gehörte, entdeckte Nell auf der gegenüberliegenden StraÃenseite Will. Er hatte gerade den Public Garden erreicht, doch sowie er sie sah, warf er seine Zigarette weg und rannte zurück.
âNell!â Will riss sich den Hut vom Kopf und lieà sich auf die Stufe zu ihren FüÃen sinken. âWas ist passiert?â
âMuss die Hitze seinâ, meinte Skinner. âSie war eben ganz schön wacklig auf den Beinen. Einen Augenblick länger, und sie wärâ mir ohnmächtig umgekippt.â
âEs geht mir wieder gut, wirklichâ, beharrte sie.
âBeug deinen Kopf vornüberâ, sagte Will zu ihr und unterstrich seine Aufforderung, indem er sie sanft am Nacken fasste und ihren Kopf nach vorn zog.
âSie kennen die Dame?â, fragte Skinner.
âJa, und ich stehe zutiefst in Ihrer Schuld, Sir.â Das Gesicht halb in schwarzem Wollstoff vergraben, sah Nell aus dem Augenwinkel, wie Will ihm die Hand reichte. âWilliam Hewitt.â
âDetective Charles Skinner, Bostoner Kriminalpolizei. Haben Sie Hewitt gesagt? Sie sind aber nicht mit Mr. August Hewitt aus der Colonnade Row verwandt, oder?â
âDoch, ich bin der Sohn, über den nicht gesprochen wird.â Will streichelte Nells Rücken, bis ihr die Haut unter ihrem Korsett zu prickeln begann. âUnd diese recht eigensinnige junge Dame ist Miss Cornelia Sweeney.â
Skinner zögerte kurz â vielleicht, um sich der Tatsache bewusst zu werden, dass sie Irin war â, bevor er schlieÃlich mit verhaltener Höflichkeit erwiderte: âAngenehm, Sie kennenzulernen, Miss Sweeney.â
âGanz meinerseitsâ, murmelte sie in ihre Röcke hinein.
âNichts für ungut, Hewittâ, fuhr Skinner an Will gewandt fort, âaber wenn Sie August Hewitts Sohn sind, warum reden Sie dann wie ein Engländer?â
âWeil er mich als Kind nach England geschickt hatâ, erwiderte Will lakonisch. âWie Sie sehen, habe ich allerdings wieder zurück nach Hause gefunden â Pech für ihn.â
âEs geht mir schon viel besserâ, sagte Nell. âIch kann mich jetzt wieder gerade hinsetzen.â
âIch bin hier der Arztâ, entgegnete Will. âUnd deshalb bestimme ich, wann es dir besser geht.â
âSagten Sie Arzt?â, fragte Skinner. âDann haben Sie also ⦠äh ⦠die Situation im Griff, oder?â
âAber gewissâ, meinte Will. âDanke für Ihre Hilfe.â
Nell wandte den Kopf zur Seite, um sich zu vergewissern, dass Skinner auch wirklich wieder in der Kirche verschwand. Durch die offene Tür konnte sie den Chor hören, der endlich das trübselige Stück zum Abschluss brachte, und gleich darauf war abermals die hier drauÃen nur leise und undeutlich zu verstehende Stimme von Reverend Gannett zu vernehmen, der die Trauergemeinde einlud, mit ihm gemeinsam das Vaterunser zu sprechen.
âFür eine Dame, die nach eigenem Bekunden nie in Ohnmacht fällt, hast du aber eine recht anfällige Konstitutionâ, befand Will.
âHabe ich nicht.â
âUnd was sollte das dann eben?â
Noch immer vornüber gebeugt, kramte Nell in ihrer geöffneten Gürteltasche herum, bis sie gefunden hatte, woran sie unter so mühseligem Einsatz gelangt war.
âWas ist das?â, fragte Will, als sie ihm ihre Beute reichte.
âVirginia Kimballs Schlüssel. Ich habe sie gerade Detective Skinner entwendet.â
Will war so verdutzt, dass er seine Hand von ihrem Nacken nahm und sie sich endlich aufsetzen konnte. Ungläubig schaute er auf den silbernen Schlüsselring, von dem vier Messingschlüssel baumelten. Als er Nell wieder ansah, meinte sie in seinen Augen Bewunderung und Belustigung miteinander ringen zu sehen. âDu machst Witze.â
Sie schüttelte den Kopf, höchst erfreut darüber, den so unerschütterlichen William Hewitt dermaÃen aus der Fassung gebracht zu haben, wenngleich sie, um ganz ehrlich zu sein, fast ebenso schockiert war wie er über ihre unglaubliche Dreistigkeit â entsetzt gar, aber dennoch auch ein wenig stolz. Nach all den Jahren, die sie nun schon ehrlich und anständig lebte, konnte âCornelia Cutpurseâ, wie sie einst genannt worden war, doch immer noch ihr fingerfertiges Talent unter Beweis stellen.
âDu hast einen Polizisten
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