Blutrot wie die Wahrheit
Schmuck abgesehen, doch sie hat zudem eine eigene Waffe dabei.â
âMit einem Kaliber von vierzig oder mehr.â
âGenau. Mrs. Kimball kommt nach Hause, zückt ihrerseits die Remington-Pistole und droht Fiona, sie ins Gefängnis zu werfen. Fiona gerät auÃer sich und schieÃt auf Mrs. Kimball. Aus Entsetzen über ihre Tat und aus Furcht vor den Konsequenzen richtet sie dann die Waffe gegen sich selbst.â
âAber wo ist sie dann?â, fragte Nell.
âFionas Waffe?â
âJa. Müsste man sie nicht in ihrer Hand oder unmittelbar neben ihr gefunden haben?â
Will runzelte die Stirn. âVielleicht hat Detective Skinner sie an sich genommen.â
âWarum sollte er das getan haben, wenn dadurch nur noch schwerer zu beweisen wäre, dass auÃer Fiona und Mrs. Kimball niemand in die Morde verwickelt war? Eine Waffe bei Fiona zu finden, müsste ihn doch geradezu gefreut haben.â
Mit einem verdrieÃlichen Seufzer gab Will sich geschlagen. âApropos Skinner â auf mich machte er eigentlich einen ganz cleveren Eindruck. Er muss gewusst haben, dass Fionas Mörder zum Zeitpunkt der Tat neben ihr stand und nicht vom anderen Ende des Zimmers her geschossen hat.â
âUnd er wird auch gewusst haben, dass Mrs. Kimball, tödlich verletzt wie sie war, nicht aufgestanden sein und sich unbemerkt an Fiona herangeschlichen haben kann, um ihr die Pistole an die Schläfe zu setzen. Er wusste ganz genau, dass seine Version der Ereignisse hinten und vorn nicht stimmt. Wahrscheinlich hat er von Anfang an vermutet, dass eine dritte Person beteiligt war. Aber was soll er tun, der arme Mann, wenn fast jeder reiche Schnösel Bostons ihm sein Geld hinterherwirft â¦?â
âWie viele waren es denn?â
âVier, soweit ich weià â Orville Pratt nicht eingerechnet. Mr. Thurston, Horace Bacon â¦â
âDer Name kommt mit bekannt vor. Seine Gattin ist mit meiner Mutter befreundet.â
âDann noch ein Bankier namens â¦â Nell musste kurz nachdenken. âSwann. Weyland Swann. Und ein Dr. Foster aus Harvard.â
âIsaac Foster?â
âJa. Kennst du ihn?â
âNicht direkt, aber ich habe viel von ihm gehört. Er stammt aus einer der ältesten Familien Bostons, Arzt in dritter Generation.â Will zog an seiner Zigarette und sah sich im Zimmer um. âEntweder müssen die werten Herren sich an jenem Nachmittag hier fast auf die FüÃe getreten sein, oder sie haben andere Sünden als Mord zu verbergen.â
âAuf jeden Fallâ, meinte Nell, âhat Skinner das Geld eingesteckt und den Geschworenen eine Geschichte aufgetischt, die Fiona als einzig Schuldige ausmachte und den Verdacht von seinen ⦠äh ⦠seinen Wohltätern ablenkte.â
âKein Wunder, dass er so beflissen war, Orville Pratt hier gründlich aufräumen und alle Beweise vernichten zu lassenâ, sagte Will und fügte lächelnd hinzu: âGott bewahre, dass der Tatort von einer kleinen irischen Gouvernante durchsucht würde, die einfach nicht davon lassen kann, mit Unschuldsmiene und vor Eifer rosigen Wangen ihre Nase in Mordfälle zu stecken, die sie nichts angehen.â
âGanz zu schweigen erst von einem gewissen verwegenen Glücksspieler, den dieselbe höchst seltsame Unsitte umtreibt.â
âSo, so.â Will grinste und warf seine Zigarette durch das zerbrochene Fenster hinaus. âDu findest mich also verwegen?â
Nell verdrehte die Augen. âLass uns hier weitermachen. Ich muss bald wieder nach Hause zu Gracie.â
Sie durchsuchten noch die beiden oberen Stockwerke, fanden sie jedoch fast bar aller Möbel vor, bis auf ein Zimmer im dritten Stock, das offensichtlich von Fiona bewohnt gewesen war. Es war ein anheimelndes Zimmer mit einem kleinen Kamin, Spitzengardinen vor den beiden Fenstern und einem zwar schon sehr abgenutzten, aber dennoch schönen blumengemusterten Teppich auf dem Dielenboden. Früher einmal, in finanziell besseren Zeiten, dürfte es wohl das Zimmer eines der höher stehenden Bediensteten gewesen sein, das der Haushälterin oder des Butlers vielleicht. Fiona indes hatte es sich anscheinend dadurch verdient, dass sie alle Dienstboten in einer Person war.
Aus Modezeitschriften herausgerissene Seiten waren mit ReiÃzwecken an die Wand gepinnt. Dutzende solcher Seiten hingen da, die meisten aus Godeyâs
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