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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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schimmernden Glorienschein umfing.
    Wo Emily sich der gängigen Mode widersetzte, dort kam ihre Schwester Cecila dem modischen Diktat mit umso größerer Leidenschaft nach. Cecilias Kleid, eine Kreation aus luftigem rosa Tüll, mit Bandstickerei opulent geschmückt, stammte von dem gefeierten Pariser Modisten Charles Worth, dessen bevorzugte Kundin sie sei, wie sie Nell vor dem Diner anvertraut hatte. All ihre Abendroben – jedes Jahr drei Dutzend neue Modelle – kämen aus dem Hause Worth. Zudem besäße sie achtundfünfzig Seidenschals von Gagelin & Opigez, natürlich gleichfalls aus Paris, wo sie kürzlich auch erst zwölf neue geordert habe. Ihre Mama dränge sie zwar ständig, Tante Vera einige davon abzutreten, aber es gefiel ihr einfach, so viele davon zu besitzen und immerzu ansehen zu können. Ihre Tageskleider, Hüte, Handschuhe, ihr Schuhwerk und die Unterkleider beziehe sie dagegen zumeist von Swan & Edgar und Lewis & Allenby aus London.
    Trotz Nells offensichtlichen Desinteresses hatte Cecilia sich sehr für das Thema erwärmt und ausführlich die Sorgfalt beschrieben, mit der sie vorging und worauf es unbedingt zu achten galt, wenn sie neue Kleider und Accessoires erwarb. Sie studiere jede Ausgabe von Godey’s ganz genau und widme auch den Zeitungsartikeln besondere Aufmerksamkeit, in denen die Roben beschrieben wurden, die der europäische Hochadel trug, und dabei insbesondere die weithin für ihre Eleganz gerühmte französische Kaiserin Eugénie, die ja Mr. Worths bekannteste Kundin sei. Allenfalls als ganz kleines Mädchen noch habe sie ihre Mutter über ihre Garderobe entscheiden lassen. Doch alles, was sie nun trage, versicherte sie Nell, ordere sie entsprechend ihren eigenen, sehr speziellen Vorstellungen – außer natürlich ihren Schmuck, so wie beispielsweise der mandelgroße Diamant, der sich in ihr Dekolleté schmiegte und die dazu passenden, nur minimal kleineren Ohrringe, die sie „der Aufmerksamkeit von Mr. Hewitt“ verdanke.
    Mit „Mr. Hewitt“ meinte sie natürlich Harry, der sie hofierte, seit sie sich vor einem Monat mit ihrem österreichischen Adeligen überworfen hatte, kaum dass beim jährlichen Ball der Pratts die Verlobung bekannt gegeben worden war. Ach ja, der aufmerksame Harry Hewitt, der „Beau Brummell von Boston“, dessen einziger äußerer Makel – eine kleine Narbe auf dem linken Augenlid und ein leichter Höcker auf dem einst empfindlich gebrochenen Nasenrücken – bleibende Erinnerungen an seinen Versuch waren, sich letztes Jahr im Absinthrausch an Nell zu vergehen. Und soweit Nell wusste, war Harry trotz der durchaus ernst gemeinten Drohung seines Vaters, ihn zu enterben, sollte dies so weitergehen, noch immer sehr dem Absinth zugetan, verführte weiterhin junge hübsche Arbeiterinnen in der familieneigenen Tuchfabrik und verspielte jede Nacht Unsummen des väterlichen Vermögens. Wie würde Cecilia wohl reagieren, wenn sie je die ganze Wahrheit über Harry Hewitt erführe? Wahrscheinlich würde es ihr gar nichts ausmachen, solange er nur diskret war und sie auch weiterhin so aufmerksam mit Diamanten und Rubinen bedachte.
    Nell und Will hatten Harry sowohl vor als auch während des Diners weitestgehend ignoriert, und er hatte es genauso gehalten. Will hatte jedoch eine recht herzliche Unterhaltung mit seinen Eltern begonnen, was von seinem Vater indes mit kaum verhüllter Ablehnung, von seiner Mutter hingegen mit großer Freude begrüßt worden war. Der Bruch zwischen Viola Hewitt und ihrem ältesten Sohn – an dem sie sich selbst die Schuld gab – war das Kreuz, an dem sie seit Jahren schwer zu tragen hatte, sodass die Aussicht darauf, sich wieder einer annähernd normalen mütterlichen Beziehung zu Will erfreuen zu können, sie „vor Glück ganz außer sich“ sein ließ, wie sie heute Nachmittag mit ihrem makellos britischen Akzent verkündet hatte. Nell war zu ihr gegangen, um sie über die Hofierungstaktik aufzuklären, die Will vorgeschlagen hatte, und ihr zugleich zu versichern, dass sie keinerlei eheliche Absichten auf Will oder irgendjemand anderen hege. „Mich interessiert einzig, dass ich meinen Sohn hin und wieder zu Gesicht bekommen werde“, hatte Viola leichthin erwidert. „Und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir dies ermöglichen.“
    Die Lakaien

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