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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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kehrten mit frischen Gläsern und eiskalt beschlagenen Flaschen Perrier-Jouët zurück. Ein Champagnerglas aus geschliffenem Kristall tauchte vor Nell auf und wurde mit großer Geste gefüllt. Als sie die hell goldene Flüssigkeit wirbelnd in dem schmalen hohen Glas aufschäumen und prickeln sah, wurde ihr einen Moment ganz trunken und berauscht zumute. Nicht etwa, weil sie zuviel getrunken hätte – das hatte sie zwar auch, aber dafür hatte sie auch soviel gegessen, dass sie es kaum bemerkte –, sondern weil Will, der ihr schräg gegenübersaß, sie schon wieder anschaute.
    Er sah sie mit jenem Blick leicht verwirrter Bewunderung an, den er ihr auch schon zuteil hatte werden lassen, als er sie heute Abend das erste Mal gesehen hatte, nicht in der üblichen schlicht eleganten Manier gekleidet, sondern in ihrem einzigen Abendkleid – einer verschwenderisch und sehr weiblich geschnittenen Robe aus grünlich-violetter Seide, deren Farbe bei jeder Bewegung schillernd changierte. Um die Taille war es so eng, dass sie ihr Korsett fester als sonst hatte schnüren müssen, und war so tief ausgeschnitten, dass es mehr Dekolleté zeigte, als Nell gewohnt war. Viola hatte es ihr einst für jene Dinnerparty anfertigen lassen, die Nell nach dem Trauergottesdienst Mrs. Pratt gegenüber erwähnt hatte. Eine Dame von Stand mochte die Vorstellung entsetzen, zweimal binnen achtzehn Monaten in ein und demselben Kleid von denselben Leuten gesehen zu werden – waren die Pratts doch bei besagter Dinnerparty zu Gast gewesen –, aber Nell blieb gar keine andere Wahl, als zu tragen, was sie eben hatte.
    Gracie hatte Nell am frühen Abend „geholfen“, sich anzukleiden und war voll des überschwänglichen Lobes gewesen. Nell sehe ganz genauso wie eine Prinzessin aus, hatte sie befunden. „Alle werden sagen, dass du die hübscheste Dame von allen bist.“
    Und tatsächlich hatte Nell bereits viele schmeichelhafte Komplimente zu hören bekommen, allerdings auch eine wenig erfreuliche Bemerkung seitens Cecilias, die diese gleich zu Beginn gemacht hatte, als sie einander vorgestellt wurden. Zunächst konnte Cecilia sich nämlich nicht daran erinnern, ihr bereits auf jener Dinnerparty vor anderthalb Jahren begegnet zu sein – bis Nell ihren Umhang ablegte. Cecilia warf einen vielsagenden Blick auf ihr Kleid und meinte: „Ah ja. Nun erinnere ich mich wieder an Sie.“ Als sei sie sich ihrer beleidigenden Worte, die sie so trefflich gewählt hatte, gar nicht bewusst, hatte sie daraufhin ihren Monolog über ihre umfängliche und so bedacht gewählte Garderobe begonnen und gar nicht mehr damit aufgehört, bis Will schließlich zu Nells Rettung eilte, indem er sie recht beiläufig am Ellenbogen mit sich davonzog.
    Will, der heute Abend ganz unverschämt gut aussah mit schwarzem Frack und weißer Fliege, leicht geöltem Haar und einem Zweig Maiglöckchen am Revers, hatte während des Essens immer wieder verstohlene Blicke in ihre Richtung geworfen. Nell fand seine Reaktion natürlich sehr befriedigend – auch eine Gouvernante war schließlich nur eine Frau –, aber zugleich auch ein wenig beunruhigend. Ihre Freundschaft hatte ihre Grenzen, die wie eine dünne Wand aus Milchglas durchaus real, aber auch sehr zerbrechlich und uneindeutig waren, so sehr gar, dass sie beide nicht davon zu sprechen wagten, was wohl jenseits dieser Grenzen liegen mochte. Wenn er sie nun aber so anschaute, drückte Will – ob er sich dessen bewusst war oder nicht – sein Gesicht gefährlich dicht an die Glasscheibe.
    â€žUnd nun …“, sowie die Lakaien sich vom Tisch zurückgezogen hatten, schob Mr. Pratt seinen Stuhl zurück und stand auf, „… ist es mir eine ganz besondere Freude …“ Dann jedoch schweifte sein Blick plötzlich über die Köpfe seiner am Tisch versammelten Gäste hinweg. „Foster! Ich hatte die Hoffnung ja längst aufgegeben.“
    Alle wandten sich nach der offenen Tür um, wo nun ein Gentleman mit Frack und weißer Fliege stand – braunhaarig, um die vierzig und von kernig gutem Aussehen –, einen seidenen Zylinder in der einen Hand und ein Paar weiße Lederhandschuhe in der anderen. Der Butler der Pratts stand hinter ihm, ein elegantes Cape über den Arm drapiert.
    â€žTut mir furchtbar leid, dass ich so spät dran bin.“ Als er dem

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