Blutrot wie die Wahrheit
mich heute Nachmittag aufgesucht hat, um mich um die Hand meiner bezaubernden Tochter Cecilia zu bitten.â
Nun endlich konnte Winifred in jubelnden Applaus ausbrechen. Die Hewitts taten ihre Freude eher verhalten kund und murmelten überrascht. Vera keuchte leise auf; sie hatte allem Anschein nach wohl nichts von der wunderbaren Neuigkeit gewusst. Emily starrte ihre Schwester reglos an.
Will schaute erst Harry an, der über das ganze, rot erhitzte Gesicht grinste, dann die sichtlich selbstzufrieden triumphierende Cecilia, und schlieÃlich Nell.
Sie erwiderte seinen Blick mit einem feinen, mitleidsvollen Lächeln.
âGewiss muss ich Ihnen kaum mehr sagenâ, fuhr Pratt fort, âdass ich dieser Bitte stattgegeben habe, woraufhin der Antrag gemacht und in der ihm gebührenden Weise angenommen wurde.â
Wahrlich wie ein Jurist gesprochen, dachte Nell. Das war nun Cecilias mittlerweile dritte Verlobung, und sie war gerade mal zwanzig.
Pratt hob sein Glas in die Höhe; seine Gäste taten es ihm gleich. âAuf Cecilia und Harry!â
Alle beglückwünschten nun das frisch verlobte Paar â alle, bis auf Will und Nell, was indes inmitten der allgemeinen Aufregung niemand zu bemerken schien.
âWie herrlich für dich, dass deine ganze Familie bei dieser wunderbaren Gelegenheit zugegen istâ, meinte Winifred zu Harry und machte eine weit ausholende Geste, bei der sie einen der Kandelaber umwarf. Vera konnte ihn gerade noch rechtzeitig auffangen, bevor das Tischtuch Feuer fing; ihre beschwipste Schwägerin schien es nicht einmal zu bemerken. âIch bin ja so froh, dass wir William gestern bei der Beerdigung getroffen haben.â
âKannten Sie Mrs. Kimball gut?â, erkundigte Will sich bei seiner Gastgeberin.
âIch? Oh, nein. Nein, nein. Ãberhaupt nicht. Sie war Mr. Pratts Mandantin, weiÃt du.â
âSie sind ihr also niemals begegnet?â, hakte Will nach.
âNun, doch. Einmal. Sie â¦â Winifred lachte kurz und schrill. âSie ist bei unserem alljährlichen Frühlingsball Ende April aufgetaucht. Ja ⦠Nun ja.â Achselzuckend breitete sie die Hände aus, lachte noch mal und hob schlieÃlich ihr Champagnerglas, das jedoch leer war. Sie drehte sich nach einem der Lakaien um, der bereits zu ihr geeilt kam, die Flasche bereit, um seiner Herrin erneut einzuschenken.
âWie ⦠sie ist âaufgetauchtâ?â, wiederholte Will verwundert. âIch fürchte, das müssen Sie mir erklären.â
âSie hat den ganzen Ball ruiniertâ, sprang Emily hilfreich ein. âSie und dieser verschrobene alte Dramatiker. Es war köstlich â da kam richtig Stimmung auf.â
âWie kannst du nur Witze darüber machen?â, wollte Cecilia ungehalten von ihrer Schwester wissen.
âMädchen ⦠bitteâ, lieà Mr. Pratt sich mit vielsagendem Blick auf die Gäste vernehmen.
âIch glaube ja â¦â, Winifred senkte die Stimme und flüsterte mit schwerer Zunge, â⦠dass sie betrunken war.â
Woraufhin Pratt kühl meinte: âMeine Liebe, ich bin mir sicher, dass unsere Gäste nicht daran interessiert sind, was â¦â
âOh, nun komm schon, Orvilleâ, entgegnete sie, ânachdem die beiden weg waren, und noch Tage danach, hat doch niemand von etwas anderem geredet. Du hast doch sogar gedacht, sie hätte dir diesen kostbaren Revolver gestohlen, weiÃt du noch?â
Orville Pratt bedachte seine Frau mit einem Blick, der gewiss hätte töten können.
âDoch nicht etwa die Stonewall Jackson?â August Hewitt, an sich ja der würdevollste Mann, den Nell kannte, schaute seinen Freund sichtlich entgeistert an â ja, ihm blieb gar der Mund offen stehen.
âStonewall Jackson?â, fragte Will, zunehmend verständnislos.
âMein Mann sammelt Waffenâ, erklärte ihm da Winifred. âHieb- und Stichwaffen â Messer und Säbel und dergleichen. Aber letzten Winter hat er sich diesen sündhaft teuren französischen Revolver kaufen müssen, der einst dem groÃen General Jackson gehört hat.â
âIch bin beeindruckt, Mr. Prattâ, sagte Will. âDas ist wahrlich eine berühmte Waffe.â
âMuss wohlâ, meinte Cecilia. âHat schlieÃlich ein Vermögen gekostet.â
Pratt schaute seine Tochter streng an, sichtlich darüber verdrossen, dass sie in
Weitere Kostenlose Bücher