Blutrot wie die Wahrheit
allen Söhnen seinem Vater, dem flachsblonden August, am ähnlichsten, ganz so wie Will mit seinem schwarzen Haar und dem etwas schlaksigen hohen Wuchs nach Viola kam.
Die Lakaien kehrten mit tranchierter Ente auf goldgeränderten Tellern zurück sowie einigen Flaschen Madeira und servierten reihum. Emily verzichtete auf die Ente. âAlso wirklich, Liebesâ, drängte ihre Mutter sie. âNicht einmal ein bisschen?â
Sichtlich um Geduld bemüht, sagte Emily: âMutter, du weiÃt, dass ich kein Fleisch esse.â
âAber das ist doch keine Fleischâ, befand Winifred. âDas ist Ente.â
âSie sind Vegetarierin?â, erkundigte sich Dr. Foster, als er seinen Teller ebenfalls fortwinkte. âIch nämlich auch.â
Emily wurde etwas munterer und schien ihn zum ersten Mal überhaupt zu bemerken. âWirklich?â
âHängt vielleicht mit den vielen Jahren chirurgischer Arbeit zusammenâ, meinte Foster, âaber irgendwann wurde mir der Gedanke unerträglich, Fleisch zu essen.â
Als Winifred nun so zwischen Emily und Foster hin und her sah, stieg ihre gute Laune ins schier Unermessliche, woraus Nell schloss, dass der berühmte Arzt aus bester Familie wohl noch Junggeselle war. Wie beglückend musste es doch für sie sein, statt einem nun sogar zwei Gentlemen von Stand um ihren Tisch geschart zu haben, die sich gar beide zugleich um die Aufmerksamkeit ihrer noch zu verheiratenden Tochter bemühten!
âVier Jahreâ, wiederholte Martin und brachte das Gespräch zurück auf Emilys Aufenthalt in Europa. âDas ist eine sehr lange Zeit, um auf Reisen zu sein.â
âEigentlich hätte es auch nur ein Jahr dauern sollenâ, sagte Emily. âErst London, dann der Kontinent.â
âIch liebe Londonâ, meinte Martin und löffelte sich Johannisbeergelee auf seinen Teller.
âIch fand es ganz entsetzlich.â Mit einem Blick zu Vera fügte Emily hinzu: â Wir fanden es beide ganz entsetzlich.â
âFurchtbar trist und grau.â Vera rieb sich leicht schaudernd die Arme. âUnd so entsetzlich feucht. Vielleicht war jener Frühling eine besonders schreckliche Ausnahme, aber â¦â
âEs war nicht nur das Wetterâ, meinte Emily.
âNein, natürlich nichtâ, pflichtete ihre Tante ihr rasch bei. âIch wollte damit auch nicht sagen â¦â
âEs lag an den bornierten Engländern und ihrem unsinnigen Klassendenken. Das ist jetzt keineswegs persönlich gemeint, Mrs. Hewitt.â
âOh, ich bin da ganz Ihrer Meinungâ, erwiderte Viola, die einst auf ihre Weise ebenso ein Freigeist gewesen war wie Emily und sich auch später noch gewisse Prinzipien, soweit eben möglich, zu wahren versucht hatte. âIch konnte es selbst kaum erwarten, aus England fortzukommen.â
Emily lehnte sich vor, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, und hielt ihr Madeiraglas mit leichter Hand umfasst. Es war genau die Art liederlicher Haltung, wie jede wohlerzogene junge Dame sie tunlichst zu vermeiden hat, doch statt dabei vulgär zu wirken, strahlte Emily anmutige Gelassenheit aus. âSobald irgend möglich sind wir nach Italien geflüchtet. Dort hat Tante Vera auch diese russische Dame kennengelernt, die ziemlich viel herumreiste, und wir haben uns ihr dann mehr oder weniger angeschlossen.â
âMadame Blavatsky.â Vera hätte ebenso gut sagen können: âDie Jungfrau Mariaâ, so ehrfürchtig war ihr Ton. âEine wunderbare Dame mit ganz wundersamen Gaben. Sie ist noch recht jung, noch keine vierzig, aber so weise und erleuchtet, dass man meinen möchte, sie hätte schon Hunderte von Jahren gelebt. Aber vielleicht hat sie das ja auchâ, fügte Vera mit sinnigem Lächeln hinzu. âMit ihr zu reisen, war eine auÃerordentliche Erfahrung.â
âGanz auÃerordentlichâ, murmelte Emily in ihren Madeira. Als sie ihr Glas sinken lieÃ, bemerkte Nell, dass sie sich mühsam ein Lächeln verkneifen musste.
âVon welcher Art sind denn ihre ⦠Gaben?â, wollte Viola wissen.
Als Vera in die Runde schaute, kroch ihr vor Aufregung hektische Röte den Hals hinauf.
âKomm schon, Tantchenâ, drängte Emily sie. âUngnädiger als ich können unsere Gäste nicht sein, wahrscheinlich sind sie sogar sehr viel netter. Das sollte auch niemandem schwerfallenâ,
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