Blutrot wie die Wahrheit
recherchiertâ, lobte Will, âund sehr gut argumentiert. Vor Kurzem stand noch mal ein ähnlicher Artikel in The Lancet, aber ich fand dennoch, dass Sie Ihren Standpunkt präziser vertreten haben.â
âOh, danke.â
Will, der seit gut fünf Jahren seinen Lebensunterhalt ausschlieÃlich mit Glücksspiel bestritt, las noch immer die medizinischen Fachzeitschriften? Ihrer überraschten Miene nach zu schlieÃen, fand Viola diese Neuigkeit wohl ebenso bemerkenswert wie Nell. Die beiden Frauen tauschten ein feines, leicht ungläubiges Lächeln.
âBesonders interessant fand ich, was Sie zur Diagnosestellung bei der Autopsie von Wasserleichen anzumerken hattenâ, fuhr Will fort. âIch habe letzten Herbst eine junge Dame obduziert, deren Leichnam auf einem Feld gefunden worden war, aber dennoch waren ihre Lungen eindeutig aufgeschwemmt und wiesen Spuren von Algen und Wasserpflanzen und dergleichen auf.
âAuch Schaumbläschen an den GefäÃen?â
âSehr viele sogarâ, erwiderte Will und schnitt in seine Ente. âDas Lungengewebe hatte natürlich schon angefangen, sich zu zersetzen, aber â¦â
Viola räusperte sich, und Will hielt kurz inne, um seine Mutter fragend anzusehen. âVielleicht wäre dieses Gespräch doch besser für eine andere Gelegenheit geeignetâ, meinte sie milde.
Will schaute kurz so verwundert in die Runde, als habe er völlig vergessen, dass er sich auf einer Dinnerparty befand, was durchaus nicht unwahrscheinlich war. âIch bitte vielmals um Entschuldigung, sollte ich jemandem den Appetit verdorben habenâ, sagte er schlieÃlich.
âMeinen haben Sie nicht verdorbenâ, erklärte Emily. âIch fand es sogar ziemlich interessant.â
âMit dieser Ansicht dürften Sie aber gewiss allein dastehenâ, meinte Will und lächelte charmant. âEin andermal dannâ, sagte er zu Foster.
âGern.â
âIch vertrete Dr. Foster beim Verkauf seines Hausesâ, meldete Mr. Pratt sich nun wieder zu Wort und tupfte sich mit seiner Serviette den Mund ab, nachdem er seine Ente bis auf den letzten Anstandsbissen verspeist hatte. âEs ist hier in Beacon Hill, nur ein paar StraÃen weiter. Klein und anheimelnd, drei Stockwerke mit Veranda und eigenem Garten, mit neuer Küche und ⦠äh ⦠sanitären Einrichtungen. Sollte jemand von Ihnen jemanden kennen, der ein Haus in ausgezeichneter Lage erwerben möchte â¦â
âNa jaâ, befand Winifred, âes ist in der Acorn Street.â
Pratt warf ihr über die gesamte Tischlänge hinweg einen vernichtenden Blick zu.
âIch finde ja nur, dass man das gleich vorneweg sagen sollteâ, verteidigte sie sich. âDenn die Acorn Street, also Sie wissen schon ⦠Man würde Ladenbesitzer und solche Leute als Nachbarn haben.â
Mr. Pratt seufzte schwer und gab dem Butler ein Zeichen, der wiederum den Lakaien bedeutete, den Wildgang abzutragen.
âMir gefällt die Acorn Street tatsächlich sehr gutâ, sagte Viola. âEin bezauberndes, kopfsteingepflastertes Gässchen mit hübschen Backsteinhäusern auf der einen und hohen Gartenmauern auf der anderen Seite. Ich fühle mich in der Acorn Street immer ein klein wenig an die eher pittoresken Viertel in London erinnert.â
âMir gefällt es dort auch sehr gutâ, bemerkte Dr. Foster, âund ich würde überhaupt nicht wegziehen, wenn ich nicht einfach mehr Platz für meine Praxis bräuchte. Deshalb habe ich mir ein gröÃeres Haus in der Back Bay bauen lassen, wo das gesamte Erdgeschoss jetzt den Untersuchungszimmern und Operationsräumen vorbehalten ist.â
âAus welchen Gründen auch immer, so war es doch sehr klug von Ihnen, sich ein gröÃeres Haus in einer besseren Gegend zuzulegenâ, belehrte Winifred Dr. Foster. âDenn dadurch werden Sie auch das Interesse der besseren jungen Damen gewinnen.â Sie schaute Emily vielsagend an, die indes betont beiseite blickte.
Die Lakaien brachten den nächsten Gang herbei â Schinkenmousse mit grünem Salat â, und das Gespräch wandte sich nun dem Bostoner Immobilienmarkt und der Frage zu, ob modernster Komfort ein Haus denn wirklich attraktiver mache. Jemand brachte den Aufzug zur Sprache, den August Hewitt in seinem Haus hatte einbauen lassen, da seine Frau â einst vor dem Krieg an
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