Blutrot
am Tag. Diese Pflegerinnen des Pinewood-Altenheims konnten ihn mal kreuzweise. Auch jetzt rauchte sein Vater, während er mit ihm auf der Veranda in der Hollywoodschaukel saß. Ludlow sah zu, wie sich die Hand des alten Herrn mit der halb gerauchten Zigarette vom Mund wegbewegte. Diese Hand, die sein gesamtes Arbeitsleben lang immer eine Axt, eine Säge oder irgendein anderes Werkzeug gehalten hatte. Von Kindesbeinen an war sein Vater oben in Somerset County in der Holzindustrie tätig gewesen. Abgesehen von seinen Augen, seinem Verstand und seiner scharfen Zunge waren die Hände noch immer der vitalste Teil an ihm. Durch Krankheiten und Bewegungsmangel waren die Muskeln an Beinen, Armen und Rumpf völlig verkümmert. Es sah aus, als hinge ein großer faltiger alter Hautsack an seinem Körper.
Trotzdem hielt Ludlow ihn noch für einen gut aussehenden Mann. Die Damen im Altenheim sahen das vermutlich genauso.
»Paps«, sagte er jetzt. »Ich glaube, ich bin im Begriff, etwas Dummes anzustellen.«
Dann erzählte er ihm von Reds Tod und allem, was danach geschehen war, und davon, was er nun vorhatte. Als er mit seinem Bericht fertig war, hatte
sein Vater zwei weitere Winston geraucht und sie von der Veranda geschnippt. Die Hollywoodschaukel wiegte sie hin und her. Sie lauschten dem Ächzen der Metallketten und dem Lachen der Damen hinter ihnen im Haus. Sein Vater nickte. Sein Blick wanderte über den frisch gemähten Rasen und den Hügel hinauf zur Straße, die durch die Stadt und danach ans Meer führte.
»Was du vorhast, ist gar nicht dumm«, sagte sein Vater. »Blut ist Blut. Hast du jemals Tierblut gekostet? Es schmeckt genauso wie unseres. Warum sollte also das Blut eines Menschen besser oder kostbarer sein als das eines Hundes? Red hat zur Familie gehört. Und zur Familie muss man stehen. Du siehst das doch genauso, sonst wärst du nicht hier, um mit mir zu reden.«
»Aber zu Billy stehe ich nicht mehr …«, sagte Ludlow nachdenklich. »Obwohl er auch zur Familie gehört.«
»Wer ist Billy?«
»Dein Enkel.«
»Ich weiß, wer er ist. Ich weiß auch, was er getan hat. Und dass du fast daran zerbrochen wärst. Hat Red dir jemals so etwas angetan? Oder ich? Oder Allie?«
»Nein.«
»Dann komm mir jetzt nicht mit irgendwelchen Schuldgefühlen oder anderem Unfug. Wir sind deine Familie. So wie deine Mutter und Tim und Mary
deine Familie waren. Verdammt, das alles hast du doch längst mit dir selbst ausgemacht. Sonst …«
»Sonst wäre ich nicht hier.«
»Ganz genau. Du brauchst bloß jemanden, der dir versichert, dass du noch ganz bei Trost bist. Also: Du bist noch bei Trost … vollkommen. Du musst tun, was dir dein Herz sagt. Lass die Leute denken, was sie wollen.«
Er erhob sich. Ludlow merkte kaum einen Gewichtsunterschied auf der Hollywoodschaukel. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. Obwohl diese groß und breit war, erschien auch sie ihm ungewöhnlich leicht.
»Erledige deine Angelegenheiten, mein Junge«, sagte er. »Und komm mich irgendwann vor meinem Geburtstag wieder besuchen. Du kannst zwar ein ziemlicher Quälgeist sein, aber ich habe nichts gegen deine Gesellschaft. Ganz und gar nicht.«
17
Es dauerte fast eine Woche, bis er den Jungen dort hatte, wo er ihn haben wollte. In einer Situation, die seinem Plan dienlich war. Im Laden kostete es ihn einiges an Extralohn für Bill Prine. Aber der schien nichts gegen ein paar zusätzliche Schichten zu haben. Ludlow wusste auch gar nicht, wie er es sonst hätte bewerkstelligen sollen. Er verbrachte ganze Tage damit, dem Jungen auf Schritt und Tritt zu folgen. Er hatte einen oder zwei Blocks von dessen Haus entfernt gewartet, bis er morgens oder am Nachmittag herauskam und mit seinem Auto losfuhr.
Dabei kümmerte es ihn nicht, dass man ihn womöglich bemerken konnte. Im Gegenteil, er ging davon aus, dass der Anblick des Pick-ups den Jungen nervös machen würde. Genau das bezweckte Ludlow.
An vielen Tagen war der jüngere Sohn, Harold, mit dabei. Die Brüder fuhren zur Cedar Hill Road, wo sie Pete abholten, und von dort aus weiter nach Portland. Einmal brausten sie nach Yarmouth. Im Stadtzentrum stiegen drei Mädchen ein, mit denen sie zu
einem Shoppingcenter fuhren, wo sie den ganzen Tag herumbummelten, Pizza aßen und abends ins Kino gingen. Die Mädchen kicherten viel und redeten heimlich miteinander. Das taten die Jungen zwar auch, aber mit dem Unterschied, dass sie versuchten, sich abgeklärt zu geben wie Erwachsene, was ihnen
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