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Blutrot

Titel: Blutrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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allerdings nicht so recht gelang.
    Portland half Ludlow nicht weiter, Yarmouth ebenso wenig. Er brauchte den Jungen in Moody Point. Er brauchte ihn dort in einer ganz bestimmten Situation. Langsam begann er zu bezweifeln, dass diese Situation jemals eintreten würde. Ab und zu hielt der Junge vor einem Laden an, besorgte Zigaretten und fuhr dann weiter durch die Stadt, um irgendwo anders hinzugehen. Ab und zu legten die drei am Ortsausgang einen Zwischenstopp bei McDonald’s ein und fuhren anschließend weiter. Aber eine Packung Zigaretten war nicht das, was Ludlow in Danny McCormacks Hand sehen wollte.
    Am Morgen des fünften Tages der Beschattung kam er mit einem Kaffeebecher und einem Käsebrötchen aus Bill Brocketts Bäckerei und sah Harold McCormack mit dem Rücken an seinem Pick-up lehnen. Seine verschränkten dünnen Arme verdeckten halb das MacIntosh-Computer-Logo auf dem T-Shirt, das der Junge trug. Ludlow ging zu ihm.
    Er stellte den Kaffee auf das Wagendach, um ihn ein wenig abkühlen zu lassen, und biss in das Brötchen. Der Junge wirkte nervös, trat von einem Bein
aufs andere und rieb dabei den Rücken am Blech, als würde es ihn irgendwo jucken.
    »Ich hab Ihren Wagen gesehen«, begrüßte er Ludlow. »Danny hat nichts gemerkt.«
    »Wo ist er denn?«
    »Drüben bei Bowman’s Auto .«
    »Weiß er, dass du hier bist?«
    Harold schüttelte den Kopf. »Ich hab ihm gesagt, ich müsste Zigaretten holen. Er würde ausrasten, wenn er wüsste, dass ich mit Ihnen rede.«
    »Tatsächlich?«
    »Na klar.«
    »Rastet dein Bruder oft aus?«
    Ludlow biss erneut in sein Brötchen, dann nippte er am Kaffee. Der war immer noch zu heiß, deshalb stellte er ihn zurück auf das Wagendach.
    Der Junge schüttelte seufzend den Kopf. »Hören Sie, Mr. Ludlow. Ich will gar nicht so tun, als ob zwischen Danny und mir immer alles in Butter wäre. Aber darum geht es auch gar nicht.«
    »Worum dann?«, fragte Ludlow und biss abermals ins Brötchen.
    »Ich wollte … ich wollte Ihnen sagen, dass es mir leidtut, was wir getan haben. Dass es mir um Ihren Hund leidtut. Deshalb bin ich hier. Um Ihnen das zu sagen.«
    Eine Weile sah ihn Ludlow nur an. Überließ ihn dem Nachklang seiner eigenen Worte. Dann nickte er.

    »Freut mich, das zu hören«, sagte er. »Aber noch lieber würde ich es von deinem Bruder hören. Trotzdem, es ist schön, dass du das sagst. Die Frage ist aber, was nun?«
    »Häh?«
    »Wirst du weiterhin für ihn lügen?«
    »Gott! Was erwarten Sie denn von mir? Sie haben mich in Gegenwart meines Vaters gefragt! Sie haben es ins Fernsehen gebracht!«
    »Ich erwarte, dass du die Wahrheit sagst, Junge. So wie jetzt. Ich erwarte, dass du es deinem Vater erzählst, und ich erwarte, dass du es gegebenenfalls auch der Polizei erzählst.«
    Wieder schüttelte der Junge den Kopf. »Sie kapieren es nicht«, sagte er. »Sie verstehen nicht. Dazu wird es nie kommen.«
    »Dann erkläre es mir doch.«
    Ludlow stand ruhig da und nippte am Kaffee. Der Junge schüttelte weiter den Kopf, rutschte mit dem Rücken am Wagen hin und her.
    »Hören Sie«, sagte er. »Ich muss los. Wenn Danny mich sieht …«
    Er stieß sich von Ludlows Wagen ab.
    »Vor wem hast du Angst, Harold? Vor deinem Bruder? Vor deinem Vater? Du warst Manns genug, dich bei mir zu entschuldigen. Dadurch bist du schon jetzt stärker als dein Bruder. Vielleicht sogar auch als dein Vater. Ich glaube nicht, dass du von den beiden viel zu befürchten hast. Oder?«

    Harold lächelte. Es war ein trauriges Lächeln.
    »Mr. Ludlow, glauben Sie mir, Sie haben keine Ahnung.«
    Ludlow blickte dem davonlaufenden Jungen nach und fragte sich, ob Harold nicht vielleicht recht hatte. Ihm war klar, dass er nur einen Ausschnitt des Bildes kannte. Das Familienleben des Jungen konnte ein einziger Albtraum sein. Vielleicht war es aber auch so wie bei den meisten Leuten, mal gut, mal schlecht, meistens irgendwo dazwischen. Er konnte sich nur an das halten, was er wusste. Den Rest galt es, wenn möglich, herauszufinden. Mehr ließ sich nicht tun.
    Er aß das Brötchen auf und öffnete die Wagentür, den Blick noch immer auf den Jungen gerichtet. Dann sah er, wie Harold stehen blieb, sich umdrehte und noch einmal zurückkam. Jetzt wirkte er verletzt und wütend.
    »Sie haben doch Carla gesehen, unser Dienstmädchen, stimmt’s?«, sagte er.
    Ludlow nickte.
    »Haben Sie auch die verkrüppelte Hand gesehen?«
    »Sicher.«
    »Und jetzt fragen Sie sich mal, warum mein Vater ein behindertes

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