Blutrote Lilien
sah ich Condés vertraute Gestalt auf der anderen Seite. Doch dieses Mal beruhigte mich seine Anwesenheit nicht. Im Gegenteil, ich spürte die Trennung von ihm wie einen Schmerz im Brustkorb und wünschte, ich hätte bei ihm bleiben können. Doch das war nicht möglich, ich musste die Nacht ohne ihn überstehen.
Nervös wandte ich mich ab und trat auf die Treppe zu. Nur langsam stieg ich die Stufen nach oben. In der Luft hing der Geruch nach meinem Erbrochenen, aber ich konnte mich nicht schämen. Neben dem Hass auf Manons Mörder schien in diesem Augenblick kein Platz für ein anderes Gefühl zu sein.
Noch immer lag das Bett im Halbdunkel, trotzdem konnte ich sehen, was ich sehen musste. Das Bett war leer. Nur ein dunkler Fleck hob sich gegen den grünen Stoff ab. Dort, wo Speichel und Gift auf das Laken getropft waren. Hinter mir hörte ich, wie sich einer der Männer vor der Kammertür platzierte. Der zweite stand wohl vor dem Appartement Wache.
Plötzlich war ich allein. Angoulevent hatte gesagt, ich solle versuchen zu schlafen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich in dieser Nacht auch nur ein Auge zutat. Wie sollte ich auch in diesem Bett schlafen, in dem Manon gestorben war?
Ich konnte den Anblick des beschmutzten Lakens nicht länger ertragen. Mit wütenden Bewegungen riss ich es von der Matratze und warf es in eine Ecke auf den Boden. Wie rasend waren meine Handlungen. Der Stuhl neben dem Bett kippte krachend zur Seite, aber der Mann, der vor der Tür Wache hielt, kam nicht herein. Meine Raserei schien ihm gleich zu sein, vielleicht erstaunte sie ihn nicht einmal. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und die Nägel gruben sich tief in das empfindliche Fleisch der Handinnenflächen. Doch der Schmerz machte mir nichts aus. Er war nichts gegen dem Schmerz, den ich in meinem Inneren fühlte.
Warum waren wir nur an diesen Ort gekommen?
Die Bilder wirbelten in meinem Kopf durcheinander.
Die Hunde im Schnee ... das Blut ... Manon, wo bist du nur?
Nach einer Weile sank ich erschöpft neben dem Bett zusammen und weinte.
- 22 -
Als ich erwachte, graute der Morgen. Die Ereignisse des Abends hatten ihren Tribut gekostet und mich doch in einen unruhigen Schlaf fallen lassen. Das Zimmer war kalt und durch den Spalt der offen stehenden Tür fiel schwaches Licht, das die hinter dem Sonnenstrahl liegenden Wände in einen grauen Schleier hüllte.
Noch leicht umnächtigt erwartete ich, jeden Moment Manons Stimme zu hören, doch die anhaltende Stille brachte alle Erinnerungen wieder. Regungslos lag ich auf den Dielen und wollte mich nicht bewegen. Aber ich wusste, dass unsere Flucht nur gelingen konnte, wenn ich wie vereinbart rechtzeitig bei den Tuilerien war.
Schwerfällig erhob ich mich, die Glieder waren steif und schmerzten. Ich zog zwei Unterkleider an, da wir längere Zeit im Freien unterwegs sein würden. Kein leichtes Unterfangen ohne Zofe, die die Schlaufen auf dem Rücken schloss. Wieder dachte ich an Manon und spürte, wie die Wut mich von innen wärmte.
Ich wünschte, ich könnte Sophie erzählen, was passiert war, aber dafür blieb keine Zeit. Ich würde ihr schreiben, wenn ich in Chantilly war.
Als ich das Esszimmer betrat, stand Angoulevents Mann noch immer neben der Tür. Erschöpft nickte er mir zu. Irgendwann, nachdem ich in der Kammer zusammengebrochen war, musste der Page Orson wieder zurückgebracht haben, denn der Hund lag neben dem Kamin und blinzelte mir entgegen. Ich ließ mich neben ihm auf die Knie fallen und vergrub das Gesicht an seinem Hals.
Die Wärme, die von ihm ausging, übertrug sich in meine steifen Finger.
Von Henri gab es keine Nachricht und ich wusste noch immer nicht, was ich davon halten sollte. Wenn er nichts von dem Anschlag wusste, dann war es auch nicht verwunderlich, dass er sich nicht bei mir meldete. Am Morgen war er selten vorbeigekommen, wenn er mir nicht gerade einen Vortrag halten wollte. Und in letzter Zeit hatte es wenige Dinge gegeben, über die wir uns unterhalten konnten.
Wäre er vorbeigekommen, wenn er in das Komplott verwickelt war? Um zu sehen, was ich als Nächstes tat? Es gelang mir nicht, meinen Bruder einzuschätzen, inzwischen war er mir so fremd geworden wie jeder andere Mensch, den ich zufällig auf der Straße traf. Der Junge, der meine Kindheit mit mir geteilt hatte, schien verschwunden zu sein.
Wie jeden Morgen brachte mir ein Diener das Frühstück. Ihm schien nicht aufzufallen, dass Manon nicht mehr hier war. Auch mein
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