Blutrote Schwestern
einer, wie ich hoffe, unbekümmerten Geste. Allein. Nur ich, keine Scarlett.
Du schaffst das, Rosie. Du hast Dutzende Wölfe bekämpft. Lenke sie, zieh sie an dich, töte sie.
Ich gehe die Stufen vor der Hütte nach unten und wiege mich dabei etwas mehr als üblich in den Hüften. Der ältere Fenris schaut mich mit einem Grinsen an, das inzwischen nur noch als widerlich zu bezeichnen ist. Ich reagiere genau so, wie ich sollte – indem ich nervös aussehe. Es zwingt das Tier in ihm, die Kontrolle zu übernehmen, zu jagen. Dummerweise ist es eine echte Gänsehaut, die nun über meine Arme kriecht, als der jüngere Fenris einen Schritt näher kommt.
»Also«, setzt er an, und seine Stimme klingt kehlig, »wieso bist du zu Fuß hier rausgekommen, anstatt zu fahren? Nicht alt genug?« Langsam gehen wir nebeneinander her und nähern uns der Hauptstraße.
»Ich bin 16. Wie alt sind Sie?«, antworte ich.
Der ältere Fenris lacht laut, woraufhin die Augen des jüngeren vor Bosheit funkeln. »Er ist 49. Ich bin 21.«
»Ein großer Altersunterschied für Freunde«, führe ich zusammenhangslos an.
Der jüngere Fenris zuckt mit den Schultern, schweigt jedoch. Ich umfasse den Griff eines meiner Messer so fest, dass meine Hände taub werden, aber ich kann nichts tun, bevor sie sich verwandeln.
Als wir die Hauptstraße erreichen, haben sie noch immer nicht angegriffen. Ich bin überrascht. Wenn sie hier über mich herfallen, habe ich sie auf freier Fläche. Wenn ich mich dagegen von ihnen ins hohe Gras ziehen lasse, das am Rand dieses Straßenabschnitts steht, sind wir beide im Nachteil. Sie werden hier draußen, auf offener Fläche, bleiben wollen, wo ich mich nicht verstecken kann.
»Äh, Miss?«, sagt einer der Wölfe einige Meter hinter mir. Mittlerweile klingt seine Stimme so sehr nach einem Knurren, dass ich nicht sagen kann, ob sie zu dem älteren oder dem jüngeren Fenris gehört. Als ich herumwirbele, ist der ältere Wolf bereits halb verwandelt, seine gepflegten grauen Haare sind nur noch fettige Flecken grauen Fells, die ausdrucksstarken Züge ziert ein muskulöser Kiefer, die ockerfarbenen Augen stehen bereits recht weit auseinander.
»Oh mein … ähm … was?«, stammele ich.
Der jüngere Fenris kommt näher, als könnte er sich so besser an meiner Angst ergötzen. »Mein Freund scheint krank zu sein.« Das Grinsen des attraktiven Indie-Rockers ist jetzt ein Stück zu breit für einen normalen Menschen. Ich gehe einen Schritt rückwärts und lege die Arme über Kreuz an meine Hüfte. Dabei versuche ich zu zittern, während ich heimlich die Griffe der Messer mit den Händen umschließe. »Ich glaube, hier ist irgendwas im Wasser. Aber weißt du, was ihm helfen könnte?«
»Was?«, frage ich ängstlich.
Der jüngere Fenris rast auf mich zu, wie die Flut über trockenes Land. Seine Nase beginnt sich mit Fellflecken zu bedecken, und als er spricht, ist der Geruch nach Tod und Verwesung so dominant in seinem Atem, dass ich kaum Luft holen kann. Er stoppt knapp einen Schritt entfernt von mir, und seine langen Fänge schlagen klickend aufeinander, als er mir antwortet: »Was ihm helfen könnte, wäre,
dich
zu fressen, Schätzchen.«
Er verwandelt sich in einer fließenden Bewegung, lässt seine menschliche Verkleidung fallen. Ich springe zurück und ziehe beide Messer aus meinem Gürtel, gerade als der ältere Wolf aufheult und näher kommt. Beide senken die Köpfe und knurren, sie fletschen die Zähne und scharren mit ihren dicken Pfoten im Sand.
Alles verharrt wie eingefroren – die Wölfe, ich, der Wind. Keiner von uns will den ersten Schritt machen.
Dann, ganz schwach in der Ferne, höre ich ein vertrautes Rumpeln. Der Bus ist unterwegs zu einer neuen Runde. Alle, sowohl die Wölfe als auch ich, spähen missmutig die Straße hinab. Keiner von uns will in Sichtweite des Busses kämpfen, und die Wölfe müssen sich entscheiden, mehrere Menschen mitzunehmen oder zu rennen. Werwölfe hassen es, zu fliehen, aber sie sind nicht dumm.
Die Entscheidung ist gefallen – der ältere Fenris stößt sich mit den Hinterläufen ab und schnellt auf mich zu. Schnell drehe ich mich nach links, weiche ihm aus und strecke die Hände aus, so dass meine Klingen über seinen Körper streichen. Der jüngere Fenris knurrt, der ältere grunzt zurück – eine Unterhaltung, die ich nicht verstehe. Ich nutze den Vorteil der Ablenkung, ziele genau und schleudere ihm ein Messer entgegen. Er weicht im letztmöglichen Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher