Blutrote Schwestern
Sie wählt ihre Worte mit Bedacht und versucht zurückzuhalten, was direkt unter der Oberfläche kocht.
»Ich … ja«, antworte ich gepresst, während mir Tränen die Wangen hinablaufen.
Und dann explodiert Scarlett.
»Ist dir denn nicht klar, was das vielleicht bedeutet, Rosie? Was, wenn die Frau sich dazu entschließt, die Bullen anzurufen? Wirst du denen erklären, warum du Tiere mitten auf dem Highway abstichst?«
»Ich …«
»Lett, jetzt mach halblang«, sagt Silas ruhig. »Ich dachte, du wolltest sie sowieso alleine jagen lassen. Und sie hat alleine gejagt. Sollten wir ihr nicht gratulieren?«
Scarlett funkelt ihn an. »Sie – ihr
beide
habt einen Fenris entkommen lassen! Jetzt ist er da draußen, hungriger als zuvor, und muss sich etwas beweisen. Also dann, genau, Silas, lass uns meiner Schwester dazu gratulieren, dass sie ein armes, dummes Mädchen zum Tode verurteilt hat.«
Silas antwortet nicht, und ich frage mich, was er denkt.
»Los, kommt«, fordert Scarlett uns auf. »Wir gehen jagen.
Jetzt.
«
»Du wirst ihn nicht finden, Scarlett. Nach einem Kampf, wie ihn sich Rosie mit ihm geliefert hat, wird er erst mal schlafen. Er wird morgen früh unterwegs sein, wenn du mich fragst«, sagt Silas sachlich.
Scarlett schweigt. Sie will ihm nicht recht geben, aber sie hat Silas, was die Jagd angeht, immer respektiert. Sie traut ihm in einer Art und Weise, die sie mir nie zugestanden hat.
»Einen habe ich immerhin getötet, Scarlett«, murmele ich halbherzig. »Ich habe es trotz allem alleine geschafft.«
Das Gesicht meiner Schwester ist immer noch angespannt, aber sie nickt mir kurz zu. Ich werte das als Gratulation und muss gestehen, dass ich im Augenblick selbst mit dieser kleinen Geste zufrieden bin.
»Dann ziehen wir also morgen früh los. Als Allererstes.« Ihre Worte sind mehr an Silas als an mich gerichtet. »Aber wie zur Hölle sollen wir jagen? Der Fenris darf mein Gesicht nicht sehen, und Rosie wird er wiedererkennen. Wir haben keinen Köder, außer natürlich, du siehst gut in einem Kleid aus, Silas.«
»Okay, erstens: Ich würde großartig in einem Kleid aussehen.« Er dreht sich um und lehnt sich an die Badezimmertür. Anscheinend hat er vergessen, dass ich immer noch im Handtuch dastehe. Als er mich ansieht, wendet er hastig den Blick ab und errötet ein wenig. »Zweitens«, fährt er leicht gepresst fort, »hast du jahrelang allein Werwölfe angelockt, Scarlett. Morgen ist das Apfelfest. Der perfekte Ort für einen Fenris, selbst wenn man das viele Rot, das die Leute tragen werden, außer Acht lässt. Da gehen wir hin.«
Scarlett nickt knapp. Ein paar Augenblicke stehen wir alle stumm da, niemand bewegt sich, während das Wasser weiter meinen Rücken hinab – und auf den Boden rinnt. Schließlich wirft Scarlett mir einen letzten kalten Blick zu, dann dreht sie auf den Hacken um und stürmt die Diele hinunter.
»Sorry, dass ich dich in Schwierigkeiten gebracht habe«, flüstert Silas, und seine Stimme ist das einzige Geräusch neben dem steten Tropfen des Wassers auf den Boden. »Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, als du weggelaufen bist, und dann ist mir eingefallen, dass das höchstwahrscheinlich deine erste Solo-Jagd war …«
Ich schüttele den Kopf. »Ich hätte es ihr sowieso erzählen müssen.«
»Wenn du mich fragst«, sagt er, den Blick noch immer respektvoll zu Boden gerichtet, »Ich finde, du warst großartig.«
»Danke, Silas.« Nun schaut er mir doch in die Augen, hält seinen Blick fest auf mein Gesicht gerichtet. Ich ziehe das Handtuch ein wenig enger.
»Gern geschehen. Tut mir leid, dass ich hier so reingeplatzt bin. Ich habe … ähm … nichts gesehen. Ehrenwort.«
Ich lächele ein wenig. »Ist schon okay.« Wir blicken uns weiter in die Augen, und das kleine Badezimmer scheint sich um uns herum zusammenzuziehen. Ich beiße mir auf die Lippen, fühle mich gefangen zwischen Erwartung und Nervosität, und Silas lehnt sich weiter zu mir, als wollte er die Lücke zwischen uns schließen.
Dann aber räuspert er sich und wendet sich ab. »Ich, ähm … Ich denke mal, wir sehen uns dann morgen früh, oder?«
»Oh. Ja, okay«, antworte ich und raffe mich aus der Benommenheit auf. »Viel Spaß bei deiner Nicht-Verabredung.«
»Richtig. Jason … Ich glaube, ich bin spät dran, aber er wird es überleben.« Silas klingt nervös, steht einen Moment unschlüssig herum, dreht sich dann um und schließt vorsichtig die Tür auf dem Weg nach draußen. Ich höre
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