Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jackson Pearce
Vom Netzwerk:
wie Algen in einer Unterwasserwelt, Vogelstimmen hallen von den mächtigen Stämmen um mich her wider.
    Es scheint, als habe die Natur selbst das Haus gebaut. Die Balken um die Eingangstür sind über und über mit naturgetreuen Schnitzereien von Bären, Hasen und Schildkröten verziert, fast so, als wären die Figuren einst echte Tiere gewesen, die hier eingefroren worden sind. Einer von Silas’ Brüdern hat sie geschnitzt – Lucas, glaube ich, oder vielleicht auch Samuel. Einer von ihnen konnte gut mit dem Gewehr umgehen, der andere mit dem Schnitzmesser, aber es ist nicht leicht, die Reynolds-Brüder auseinanderzuhalten. Es ist offensichtlich, dass die Hütte ursprünglich sehr klein war, aber heute erstrecken sich die Räume bis hoch hinauf zwischen die dicken Stämme der Bäume und zu den Seiten des Ursprungsgebäudes. Das war Pa Reynolds’ Regel: Wenn du dein eigenes Zimmer haben willst, dann bau es dir. Die oberen Räume des Hauses haben breite Plattformen, die an die höheren Äste der Bäume heranreichen, und von den Geländern hängen ein paar gefährlich aussehende Reifenschaukeln herab. Selbst Silas’ Schwestern, die niemand darauf vorbereitet hat, Försterinnen zu werden, mussten Holz schleppen, um ihren eigenen Raum zu bekommen, ehe sie ins Internat gingen. Ich hatte kaum Gelegenheit, sie kennenzulernen. Nach dem Tod von Silas’ Mutter hatte Pa Reynolds Angst davor, drei Mädchen allein großziehen zu müssen.
    Silas Auto steht nicht in der Einfahrt, dennoch klopfe ich an der Tür. Keine Antwort. Schnell fahre ich mit der Hand über den Rücken eines hölzernen Bären und stelle den Korb mit den Keksen vor die Tür. Ich bleibe noch einen Augenblick stehen …
    Irgendjemand ist hier.
    Schwache Atemgeräusche, direkt hinter mir. Ich wirbele herum, fahre mit den Händen an die Hüfte und bin in diesem Augenblick mehr als froh über Scarletts Obsession, dass ich immer meine Messer bei mir tragen soll.
    »Es tut mir so leid, Miss. Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagt ein junger Mann ruhig. Er blickt mich unter schweren Lidern hervor an und presst seine perfekt geformten Lippen zusammen. Er ist nicht allein – ein zweiter Mann steht schweigend hinter ihm, erste graue Strähnen im Haar, markante Gesichtszüge, scharf geschnitten. Irgendwie erinnert er mich an einen älteren Filmstar. Der jüngere Mann trägt ein kunstvoll zerrissenes T-Shirt, sein Haar ist in Rockstarmanier zerzaust. Ich bleibe misstrauisch – die meisten Leute kommen nicht bis hier heraus, Gerichtsvollzieher oder Werwölfe einmal ausgenommen.
    »Sie haben mich nicht erschreckt«, lüge ich, lehne mich gegen einen der geschnitzten Hasen, versuche locker auszusehen und halte die Hände in der Nähe der Messergriffe. Falls die beiden tatsächlich Werwölfe sind, will ich gewappnet sein.
    »Suchen Sie nach jemandem?«
    Der Jüngere nickt. »Sozusagen. Aber es sieht nicht so aus, als wäre er zu Hause.« Er grinst mich freundlich an und streicht sich mit der Hand die struppigen Haare aus dem Gesicht.
    »Ich glaube auch nicht, dass jemand da ist«, antworte ich vorsichtig. »Vielleicht versuchen Sie es später noch mal?«
    »Ja … ja, das werden wir.«, antwortet der Ältere. »Danke für deine Hilfe.«
    »Kein Problem«, erwidere ich ein bisschen zu schnell.
    »Warte mal«, sagt der Jüngere. Er kommt auf mich zu, schiebt die Hände verlegen in die Taschen. »Können wir dich wenigstens nach Hause bringen? Hier draußen scheint es mir für ein Mädchen nicht sicher zu sein, so ganz allein.«
    »Ich …« Ich zögere. Seine Augen sind wunderschön, sie haben einen goldenen Farbton, der mich an Herbstlaub erinnert. »Das ist kein Problem, wirklich.«
    »Nein, ehrlich. Das würden wir wirklich gerne tun«, unterbricht der Ältere. Seine Stimme ist glatt wie polierter Granit. Auch er streicht sich die Haare zurück.
    Ich beiße die Zähne zusammen. Auf dem Handgelenk des älteren Mannes kann ich ein Rudel-Zeichen erkennen. Irgendwas Rundes – eine Klingel, vielleicht? Das des Jüngeren ist durch die sternenbesetzten Armbänder verborgen, aber er ist sicherlich auch ein Wolf, oder? Ich kann das nie auf Anhieb sagen, so wie Scarlett. Einen Wolf erkenne ich an seinem Rudelzeichen, davor sehe ich in ihm stets den Menschen. Scarlett dagegen sieht den Wolf – und nur den Wolf.
    Ich ändere meine Taktik. »Okay. Klar, bringt mich nach Hause«, antworte ich ein bisschen zu forsch, zucke mit den Schultern und werfe das Haar zurück, in

Weitere Kostenlose Bücher