Blutrote Schwestern
durchklingt. Natürlich hat Silas eine Verabredung. Silas hatte immer eine Verabredung. Er hat die Highschool abgeschlossen – anders als seine Geschwister, Scarlett oder ich –, und er war auch während seines Abschlussjahres nie der Typ, dem es an weiblicher Gesellschaft gemangelt hätte. Es hat Scarlett unendlich frustriert, wenn seine Verabredungen ihm wichtiger waren als die gemeinsame Jagd.
»Nein«, sagt er entschieden, als wäre es ihm wichtig, dass ich ihm glaube. »Ich habe kein Date. Ganz sicher nicht. Nur ein Freund von der Highschool. Jason. Ich bitte dich, Rosie: Wenn ich ein Date hätte – meinst du nicht, dass mir dann etwas Besseres einfallen würde als Burger King?«
Ich lache, erleichtert und amüsiert. »Ich weiß nicht. Du hattest immer eine Freundin, bevor du nach San Francisco gegangen bist.«
»Nein, nicht wirklich. Ich habe den Kontakt zu den meisten meiner Freunde aus der Highschool verloren, nachdem sie alle aufs College gegangen sind. Hast du mich nicht nachts vor Einsamkeit weinen gehört?« Er zwinkert mir zu, neckt mich.
»Oh«, sage ich, und es klingt leicht dümmlich. Ich glaube, ich habe einfach nicht darauf geachtet. Allerdings – um ehrlich zu sein, ist es mir bislang nie in den Sinn gekommen, auf Silas Reynolds zu achten. »Wieso hast du den Kontakt verloren?«
Er denkt nach. »Tja«, sagt er schließlich, »als es darauf ankam, stellte sich heraus, dass uns nichts verband.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Das Gefühl kenne ich.«
»Zum Glück scheint es, als hätte ich genug mit den March-Schwestern gemein, um mich über Wasser zu halten. Ohne … du weißt schon … Freunde oder Familie.«
»He, wir sind so was wie deine Freunde«, unterbreche ich ihn.
»Und auch meine Familie, wie es scheint.« Dann fügt er schnell hinzu: »Hm … ja … zumindest … sozusagen meine Familie.«
Da biegt der Bus in der Ferne um die Ecke und rumpelt in unsere Richtung.
»Jedenfalls muss ich zugeben: Du bist eine bessere Köchin als die Jungs bei Burger King. Deswegen bin ich fast ein wenig traurig, dass ich heute Abend eine Nicht-Verabredung habe. Oder vielleicht eher, dass ich meine Nicht-Verabredung mit jemand anderem habe, oder … na ja … ich meine … Vergiss es.«
Ich zucke verlegen die Achseln, als die Druckluftbremse des Busses quietscht, sich die Tür öffnet und die Zugluft aus der Klimaanlage mir durch die Haare fährt. »Du
solltest
traurig sein – ich backe Kekse. Allerdings gibt es nur Nudeln zum Abendessen, da verpasst du nicht allzu viel.«
»Kekse? Verdammt!« Der ungeduldige Blick der Busfahrerin lässt ihn verstummen. »Ich sehe dich später, Rosie, oder?«
»Klar«, sage ich sanft und versuche nicht zu stolpern, als ich in den Bus einsteige. Dann lasse ich mich in einen Sitz in der Nähe der Klimaanlage sinken und schließe die Augen, damit ich Silas nicht anstarre, während der Bus sich in Bewegung setzt und ihn zurücklässt.
Ich kann nur acht Gerichte kochen, Nudeln und belegte Brote nicht mitgezählt. Eines davon ist Hackbraten. Oma Marchs Schokoladenkekse gehören auch dazu. Ich zerkleinere die Schokolade, gebe sie in eine ihrer grünen Rührschüsseln und schlage die braune Masse vorsichtig. Ich mag es, Oma Marchs Küchengeräte zu benutzen, ich fühle mich ihr dann irgendwie näher. Scarlett ist nirgendwo zu finden, aber ich vermute, sie läuft mal wieder. Vermutlich versucht sie, so schnell wie ein Fenris zu werden oder etwas in der Art. Viel Glück, große Schwester.
Ich lehne am Ofen und warte, bis die Kekse fertig sind. Es sind zu viele geworden. So viele, dass ich Silas wohl ein paar vorbeibringen könnte.
Würde das komisch aussehen? Man bringt nur einem alten Freund der Familie Kekse vorbei. Keine große Sache.
Ja, mach es gleich, bevor du es dir anders überlegst.
Der Ofen-Timer klingelt laut, und ich kippe die Kekse vom heißen Blech in einen Korb, ehe ich die Ecken des Tuches über die Kanten falte. Sie werden höchstwahrscheinlich nicht warm bleiben, aber so sieht es hübscher aus. Im Badezimmer bürste ich mir schnell das Haar hinter die Ohren und richte mein T-Shirt.
Hey, Rosie
–
es ist nur Silas.
Als ich mich seinem Haus nähere, hoffe und fürchte ich gleichermaßen, sein Auto hinter mir die Straße hochkommen zu hören. Der Wald, in dessen Mitte er lebt, scheint abrupt zu beginnen, und die Straße wechselt schlagartig – von sonnendurchflutet und heiß zu dunkel und kühl. Die Äste wiegen sich im Wind
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