Blutrote Schwestern
zurück, aber die Klinge schrammt ihm dennoch seitlich über das Gesicht, zerschneidet sein Fell und legt die rohe rosafarbene Muskulatur darunter frei. Der Bus rumpelt näher – wir wissen alle, dass unsere Zeit abgelaufen ist. Ich darf die beiden nicht entkommen lassen. Scarlett würde mir nie vergeben.
Während der Ältere den Kopf schüttelt, als versuche er damit den Schmerz abzustreifen, rennt der Jüngere vorwärts. Er schlägt Haken von links nach rechts, und als ich versuche, die Bewegungen zu verfolgen, komme ich aus dem Gleichgewicht. Als ich nach rechts renne, stürzt er sich auf meine linke Seite, und ich falle so schwer zu Boden, dass der Schotter sich in meine Wangen bohrt und das Heft des geworfenen Messers sich mir in die Hüfte gräbt. Schnell rolle ich mich auf den Bauch, während der jüngere Wolf herumpeitscht, das Maul weit geöffnet. Ich zerre das Messer unter meiner Hüfte hervor und stoße es aufwärts. Er kann gerade noch ausweichen. Rasch setze ich mich auf, als sich der ältere Wolf wieder ins Getümmel stürzt, doch da nähern sich auch schon die ersten Anzeichen der Staubwolke des Busses.
Steh auf, steh auf.
Ich springe auf die Füße, wirbele herum und verpasse dem älteren Fenris einen soliden Tritt, seitlich an den Kopf. Dabei drehe ich mich gerade noch rechtzeitig, um dem jüngeren Wolf meine Ferse in die Brust zu treiben, als er mir in den Nacken springen will. Die graublaue Oberseite des Busses durchbricht den Horizont.
Komm schon, jetzt oder nie,
Scarletts Warnungen schwirren mir durch den Kopf. Wenn sie weglaufen, werden sie Hunger haben, sie werden fressen müssen, und jemand wird sterben. Ich drehe mich zu dem alten Fenris um und schleudere ein Messer nach ihm – mit aller Kraft, die ich besitze. Es schlägt mit einem widerlichen Schmatzen in seinen Brustkorb ein, und der Wolf bricht zusammen.
Der jüngere Wolf heult wütend auf, sein Blick gleitet zwischen mir, dem sterbenden Fenris und dem Bus hin und her. Der Bus ist nur noch wenige Augenblicke entfernt, die Fahrerin kann uns vielleicht jetzt schon sehen. Der junge Fenris blafft mich mit geöffnetem Kiefer an und springt in die Gräser. Dumpf bricht der Schritt seiner schweren Pranken durch Dornen und Gräser. Ich könnte ihm nachlaufen, ihn finden – nein. Ich kann nicht schneller laufen als er. Er wird mir entkommen oder schlau genug sein, um mich anzuspringen.
Denk nach, Rosie, denk nach.
Der Bus wird langsamer, ein blauer Kleinwagen fährt direkt dahinter – Silas’ Auto. Schnell laufe ich zu dem gefallenen Fenris hinüber und ziehe mein Messer aus seiner Seite. Ich kann nicht gehen, bis ich sicher weiß, dass ich ihn getötet habe.
Komm schon, stirb endlich.
Mit seinen rotbraunen Augen funkelt er mich hasserfüllt an. Die Busfahrerin entdeckt mich, und ihre Augen weiten sich, als sie mich mit hocherhobenem Messer über einem Tier stehen sieht. Mein Blick schießt zu Silas’ Auto hinüber, und wir erwischen einander im selben Moment.
Da löst der Fenris sich auf. Er zerspringt in einer Wolke schwarzer Schatten, die zu schreien scheinen, ehe sie protestierend unter das Geröll gleiten. Ich stürze mich ins hohe Gras auf der gegenüberliegenden Seite des Fenris. Ich hätte die beiden früher töten können, ich hätte sie im Wald töten sollen. Was, wenn ich gerade unsere Tarnung ruiniert habe? Was, wenn die Fahrerin mich wiedererkennt und das Jugendamt benachrichtigt? Ich habe alles kaputt gemacht.
Scarlett wird mich umbringen.
Die Gräser peitschen an mir vorbei, und mir tränen die Augen vor Enttäuschung und Schmerz, weil mir die Halme ins Gesicht schlagen. Hinter mir höre ich Silas hupen, auch schreit er meinen Namen, aber ich bleibe nicht stehen. Ich schäme mich viel zu sehr, als dass ich es im Augenblick auch nur in Betracht ziehen würde, ihm gegenüberzutreten. Er irrt sich in mir. Ich bin immer noch nicht erwachsen, bin nach wie vor das kleine, dumme Mädchen, das ich vor einem Jahr war.
Mein Herz hämmert laut, die Haut klebt vom Schweiß, als ich das Feld endlich hinter mir lasse. Langsam trotte ich auf unser Haus zu, versuche zu atmen und die Tränenspuren auf meinen Wangen wegzuwischen. Ich sollte stolz sein. Ich habe gerade alleine einen Fenris getötet.
Leider habe ich auch einen entkommen lassen, der nach dem gescheiterten Versuch, mich zu töten, Hunger haben wird. Großen Hunger.
Außerdem habe ich zugelassen, dass mich jemand bei der Jagd beobachtet hat.
Ich bin einfach
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