Blutrote Sehnsucht
berühren. »Stephan?«
Ein Schatten tauchte in der Tür zu ihrer Linken auf.
»Was tust du hier?«, erklang eine vertraute tiefe Stimme.
Ann seufzte vor Erleichterung und lief zu ihm. Es erschien ihr ganz natürlich, sich in seine Arme zu werfen. Die Furcht, die ihn beherrschte, seit er sie verlassen hatte, die Sicherheit, dass er sich mit den Gefühlen, die er ihr entgegenbrachte, so geschwächt hatte, dass die bevorstehende Konfrontation ein hoffnungsloses Unterfangen war – all das ging in der Umarmung augenblicklich auf Ann über. Stephan war nicht froh darüber, dass er seinen Gefühlen für sie nachgegeben hatte. Er glaubte, er habe seine Spezies enttäuscht und schon versagt, bevor er mit seiner Mission angefangen hatte. Das war entmutigend, aber es änderte nichts an ihrer eigenen Sicherheit.
»Stephan, du irrst dich, was die Macht angeht. Sie beruht nicht auf Unterdrückung.«
Er hielt sie ein wenig von sich ab. »Du musst gehen, Ann. Du darfst nicht hier sein, wenn sie kommen«, entgegnete er und wandte sich ab, um sie zur Tür zu führen.
»Jetzt hör doch mal zu, Stephan! Diese Frauen mögen dich so ausgebildet haben, aber nur, indem du dich öffnest, bist du so stark, wie du es sein kannst. Das weiß ich, also glaub es mir.«
»Du redest Unsinn, Liebste. Du weißt nichts darüber, und du sollst auch nichts darüber wissen.« Er zog weit die Tür auf und versuchte, Ann hinauszuschieben.
»Wenn du doch nur ...«
»Ann«, unterbrach er sie scharf und drehte sie an den Schultern wieder zu sich um. »Weißt du, was hier geschehen wird? Kannst du es dir vorstellen?«
»Ich muss es mir nicht vorstellen«, erwiderte sie ruhig. »Ich weiß alles, was du über die jüngsten Geschehnisse in diesem Haus weißt.«
Das ließ ihn innehalten, und er schluckte. »Das hatte ich vergessen.« Er nahm sich sichtlich zusammen. »Dann ist dir ja klar, warum du nicht bleiben kannst.«
»Hör mir bitte nur einmal zu, dann gehe ich.«
»Ich werde nichts dergleichen tun.« Seine Stimme war kalt und unnachgiebig.
»Na schön. Dann fahre ich bis zur nächsten Wegbiegung, lasse Pferd und Wagen dort stehen und komme durch den Wald zurück. Ich kann genauso eigensinnig sein wie du.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte ruhig seinen Blick.
Stephan schaute sich nach Anzeichen für Eindringlinge um. Im Gegensatz zu ihr konnte er hervorragend im Dunkeln sehen. »Na schön«, meinte er dann ärgerlich. »Sag, was du zu sagen hast, aber bitte schnell.«
Das klang nicht gerade enthusiastisch, doch Ann war froh, dass er ihr überhaupt zuhörte. »Rubius hat dir gesagt, dass die Macht in deiner Sexualität verankert ist und durch Unterdrückung noch gesteigert wird.«
»Ja. Und er hatte recht. Es hat fast zwei Jahre gedauert, doch ich habe meine Lektion gelernt und meine Macht tatsächlich sehr erhöht.«
»Aber deine Macht entstammt deiner Verbindung mit deinem Gefährten! Das ist schon immer so gewesen. Du weißt das, und ich weiß es durch dich.«
»Ja ...« Er erkannte die Wahrheit noch nicht.
»Es sind diese Verbindung und eine Empfänglichkeit, die dich so mächtig machen. Du bist offen für diese Verbindung zu deinem Gefährten. Du könntest dich jedoch auch anderen Arten von Macht öffnen und sie ebenfalls benutzen.«
»Du redest Unsinn, Ann. Ihre Ausbildung war erfolgreich. Das ist erwiesen. Die Unterdrückung hat die Macht meines Gefährten noch erhöht. Hätte ich sie doch bloß in letzter Zeit ein bisschen mehr geübt!« Er schien angewidert von sich selbst zu sein.
»Ich glaube, sie haben dich Unterdrückung gelehrt, weil sie dich fürchteten, Stephan.«
Er lächelte wehmütig. »Rubius und seine Töchter sind sehr alt, Ann, und weitaus mächtiger als ich.«
»Sie suchten jemanden, aus dem sie diesen Harrier machen konnten, nicht?«
Er nickte.
»Tja, warum haben sie dann nicht einen ihrer frommen Mönche genommen und ihn dazu ausgebildet? Oder eine der Töchter dieses Rubius?«
Stephan zuckte die Schultern. »Wer würde sich schon freiwillig für eine solche Aufgabe melden?«
»Du denkst also, sie hätten dich gewählt, weil sie etwas hatten, was du wolltest, und sie dich deshalb dazu zwingen konnten, Jahre der Folter zu ertragen, um es zu erlangen.«
Ein grimmiger Zug erschien um seinen Mund. »So etwas in der Art.«
»Keine sehr bewundernswerten Leute, was? Aber was ist, wenn sie sich in Wirklichkeit für dich entschieden haben, weil du mehr natürliche Macht hattest als alle
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