Blutrote Sehnsucht
Männer sprachen über Kühe. Jemand erzählte, dass der Kaplan in Winscombe heiraten würde.
Und dann: »Den Knecht meines Cousins drüben in Shipham hat’s erwischt. Er hat sich diese Influenza eingefangen und kommt einfach nicht mehr auf die Beine.«
Das könnte sich als interessant erweisen, dachte Stephan.
»Whisky mit Zitrone, sag ich immer.«
»Jetzt liegt auch noch seine Schwester flach. Ein paar fiese Stiche hat sie hier oben am Nacken. Der Doktor sagt, sie wären von Insekten, aber für mich sehen sie mehr nach Rattenbissen aus.«
»Ich hab noch nie gehört, dass Influenza von Rattenbissen ausgelöst wird«, wandte jemand anders ein.
Eine kurze Pause entstand. »Könnte es sein, dass wir hier ... von der Plage sprechen?«, flüsterte der erste Mann.
Stephan wusste, dass es sich nicht um Influenza handelte. Und es waren auch keine Insekten oder Ratten, was die Leute krank machte. Aber eine »Plage« könnte man es sehr wohl nennen. Er befand sich auf der richtigen Spur. Kilkennys Vampire hielten sich irgendwo hier auf. Sie benötigten einen abgeschiedenen Ort, und angesichts der Anzahl der Erkrankten musste sich mehr als ein Vampir hier herumtreiben. Drei oder vier vielleicht. Stephan aß mechanisch, ohne auch nur einen Bissen zu genießen. Er hatte schon lange keine Freude mehr am Essen; durch seine furchtbare Aufgabe war es zu einer bloßen Notwendigkeit geworden, sich mit Nahrung zu versorgen.
Vier Gegnern würde er vielleicht nicht gewachsen sein. Aber wenn er versuchte, sie sich einen nach dem anderen vorzunehmen, würden die anderen sich beim ersten Toten trennen, und er, Stephan, hätte seine Chance vertan. Nein. Er hatte keine Wahl. Er musste sie zusammen erwischen. Doch zunächst einmal musste er sie finden.
Leer stehende Häuser. Oder ... war diese Gegend nicht bekannt für ihre Höhlen? Kein gemütlicher Aufenthaltsort, aber wer wusste schon, wie primitiv diese Vampire waren? Vielleicht gefielen ihnen ja Höhlen. Stephan schob seinen Teller zurück und stand auf. Morgen würde er einen Grundstücksmakler aufsuchen und sich nach leer stehenden Häusern in der Gegend erkundigen. Am frühen Abend könnte er sich die angebotenen Objekte zeigen lassen und danach bis in die frühen Morgenstunden die Höhlen durchforsten.
Eigentlich hatte er auch heute Nacht noch Zeit dazu. Der Stallknecht würde ihm etwas über Höhlen sagen können. Und unter geistigem Zwang würde der Bursche auf jeden Fall reden, ob er wollte oder nicht. Die Vampire würden heute Nacht auf der Jagd sein, doch Stephan würde ihren Unterschlupf erkennen, falls er ihn entdeckte. Vielleicht war es das Beste, ihn zu finden, solange sie sich dort nicht aufhielten. Und wenn sie dann vor Tagesanbruch zurückkamen, würde er sie schon erwarten ...
Stephan verdrängte seine Müdigkeit nach dem langen Ritt. Es wurde Zeit, sich auf die Jagd zu machen, solange noch acht Stunden Dunkelheit vor ihm lagen.
3. Kapitel
M it wild pochendem Herzen ging Ann in ihrem einstigen Kinderzimmer auf und ab. Sie konnte dem Onkel sein Verhalten nicht übel nehmen. Er versuchte nur, für ihre Zukunft vorzusorgen, so unangebracht seine Bemühungen auch waren. Aber ihrem Cousin konnte sie sehr wohl böse sein. Van Helsing konnte sie nicht lieben, es war unmöglich. Sie hatte ihn weniger als ein halbes Dutzend Mal gesehen. Deshalb ließ sein Verhalten eigentlich nur den Schluss zu, dass er wollte, was sie besaß , aber nicht sie selbst. Wahrscheinlich wusste er von dem Geld, das ihr Vater für sie angelegt hatte. Sie hatte zwölftausend Pfund Einkünfte im Jahr und keine Hypotheken auf ihrem Besitz. Die Tatsache, dass sie und ihr Onkel relativ bescheiden lebten, bedeutete nur, dass die Ländereien und die Häuser ihrer Pächter alle gut in Schuss waren und der größte Teil des Einkommens daher wieder in die Fonds zurückfloss. Hinzu kam, dass sie nicht unattraktiv war, wenn man darüber hinwegsehen konnte, dass sie den Eindruck machte, nicht ganz mit dieser Welt verbunden zu sein. Oder über ihre Augen. Doch ihre äußere Erscheinung war höchstens noch ein zusätzliches Plus, aber sie verriet nicht, wer und was sie war. Es waren ihre Augen, die ihr Wesen am deutlichsten erkennen ließen. Vermutlich war das auch der Grund, warum Van Helsing nur sehr ungern ihren Blick erwiderte.
Aber all das spielte keine Rolle, weil sie ohnehin nicht heiraten konnte. Sie konnte andere Menschen ja nicht einmal berühren, geschweige denn einen Ehemann nehmen. Und ihr
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