Blutrote Sehnsucht
Dauer. Beatrix war über ihn hinausgewachsen.
Jetzt stand sie in der Tür und nahm all ihren Mut zusammen, um es ihm zu sagen. Sie wusste noch nicht, dass ihre Liebe zu ihm enden musste, auch wenn er selbst nie aufhören würde, sie zu lieben. »Wir gehen fort, Stephan. Beide. Ich bin nur gekommen, um es dir zu sagen.«
Er nickte. »Ich verstehe.« Er hielt sich ganz steif, um sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Es gab noch Hoffnung auf Frieden in ihrem Herzen, wenn auch nicht in seinem. Er musste versuchen, ihr zu diesem Frieden zu verhelfen. »Du wirst mich noch hassen, bevor du mir verzeihst. Zumindest hoffe ich, dass du mir vergeben kannst. Aber sieh zu, dass du zuerst dir selbst verzeihst.«
»Sie hat sich nichts zu verzeihen«, ertönte Ashartis scharfe Stimme hinter ihnen. Beatrix drehte sich abrupt zu ihr herum. Asharti trug schon Reisekleidung.
»Hast du mir nicht zugetraut, ihm Lebewohl zu sagen?«, fragte Beatrix.
»Ich traue ihm nicht, Schwester.« Sie deutete auf Stephan. »Lass uns gehen.«
»Sei dein eigener Herr, Beatrix!«, flüsterte Stephan. »Und solltest du mich brauchen, komme ich.«
»Sie wird dich nicht brauchen«, höhnte Asharti. »Ich werde sie alles lehren, was sie wissen muss.«
Beatrix stand da wie gelähmt und starrte ihn an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Nun komm schon, Schwester!«, fuhr Asharti sie an. Langsam wandte sich Beatrix ab.
Stephan wollte sie aufhalten, doch was hätte das genutzt? Sie liebte ihn nicht, und er hatte kein Recht, sie anzuflehen, es zu tun. Er war alt und verdorben, während sie jung und frisch war, mit tausend Lebenszeiten vor sich, um die Liebe zu erfahren, die sie ihm nicht schenken konnte.
Asharti streckte die Hand aus. Ihre Augen röteten sich schon. Beatrix ging zu ihr, und Asharti griff nach ihrem Handgelenk. Beatrix machte einen tiefen Atemzug, und Stephan konnte sehen, dass sie ihren Gefährten rief. Galle stieg in seiner Kehle auf. Er hatte kein Recht, Beatrix mit seiner Liebe zu beschmutzen. Sie war über ihn hinausgewachsen.
Eine unruhige Dunkelheit verhüllte die beiden jungen Frauen – und dann waren sie auch schon verschwunden.
Stephan blickte sich um, nicht sicher, wo er war oder wie er hierhergekommen war. Die Lichter des Dorfes blinkten durch die Bäume unter ihm. Liebe war nichts für ihn. Wie lange hatte er Beatrix geliebt? Siebenhundert Jahre? Mehr oder weniger. Noch lange, nachdem sie ihn vergessen hatte. Und vor elf Jahren hatte er Asharti für ihr Verbrechen, durch Napoleon die Weltherrschaft an sich reißen zu wollen, nicht bestraft, weil Beatrix ihn darum gebeten hatte. Aber ohne es zu wollen, hatte er Asharti ausgerechnet an den einen Ort verbannt, an dem sie die Macht hatte erlangen können, nach der sie von Anfang an gestrebt hatte. Das war sein Verbrechen. In ihrem Exil hatte sie eine Armee von Vampiren erschaffen und ganz Nordafrika eingenommen. Es war pures Glück gewesen, dass sie aufgehalten wurde, bevor sie die Welt regieren und Menschen in Vieh verwandeln konnte, das allein seines Blutes wegen gezüchtet wurde.
Jetzt konnte er seine Verbrechen vielleicht endlich sühnen. Stephan hatte eine umfassende Ausbildung erhalten, um Rubius’ Mordbube zu werden. Und er würde Ashartis Hinterlassenschaften beseitigen, so gut er konnte. Vielleicht würde er dabei sterben. Aber das kümmerte ihn nicht – bis auf die Tatsache, dass durch sein Scheitern die Welt mit erschaffenen Vampiren infiziert würde, die wiederum andere erschufen, bis keine Menschen mehr blieben, um den Durst eines Vampirs zu stillen. Wenn er seine Aufgabe jedoch erfüllte ...
Der Schrei einer Frau zerriss die stille Nacht. Er kam ganz aus der Nähe. Stephan wusste, was einen solchen Schrei auslöste, und schlüpfte daher schnell zwischen den Bäumen hindurch, dorthin, wo das Geräusch entstanden war.
Es war fast noch eine Meile bis zu ihrer Höhle. Ann bewegte sich durch die Dunkelheit, so schnell sie konnte. Dieser Teil des Weges wand sich hinter dem Dorf den Berg hinauf. Die Lichter der Schenke lagen direkt unter ihr. Aber sie war nie ängstlich nachts allein im Wald. Schon lange nicht mehr. Die Dorfbewohner machten einen großen Bogen um sie, es gab keine Wölfe so weit südlich, und herumhuschende kleine Tiere schreckten sie nicht. Sie hatte weit mehr zu befürchten als ein Kaninchen oder einen Rehbock.
Deshalb bemerkte sie auch kaum das leise Rascheln in den Büschen neben dem Pfad, bis sie um eine Ecke bog – und dort wie
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