Blutrote Sehnsucht
Zufluchtsort für unsere Gattung.«
»Vielleicht gibt es so etwas wie Zuflucht gar nicht«, sagte Stephan sanft. »Möglicherweise ist das die endgültige Wahrheit über unsere Situation und unsere Tragödie.«
»Eine Tragödie, die ich vermutlich auch verdiene.« Freya seufzte.
»Vergib dir, Freya. Du hast Zeit, dies alles zu überwinden und wieder heil zu werden. Wir leben ewig. Du hast alle Zeit der Welt.«
Sie erhob den Blick zu ihm. »Es gibt Lasten, die zu schwer sind, um sie zu überwinden und wieder heil zu werden.« Freya straffte sich. »Aber ich werde es ihm sagen und es als meine Buße betrachten. Doch ich muss ihm auch von Kilkenny erzählen. Das Gleichgewicht zwischen unserer Spezies und der menschlichen ist nach wie vor gefährdet. Da draußen gibt es immer noch geschaffene Vampire.«
Stephan wandte sich Ann zu. »Nicht alle geschaffenen Vampire sind eine Gefahr für uns, Freya. Kann es unter ihnen nicht auch gute und schlechte geben?«
Freya lachte bitter. »Ich bin die Letzte, der du diese Frage stellen kannst.«
»Dann lass Kilkenny gehen ...«
Freyas Blick huschte durch die dunkle Krypta. »Ich ... ich weiß nicht.«
»Wirst du einen weiteren Harrier ausbilden, wenn dein Vater es von dir verlangt?« Ann musste ihr diese Frage stellen. Denn das könnte die wahre Gefahr sein.
»Nein.« Freyas Kopfschütteln war etwas entschiedener als ihre letzten Worte. »Ich kann das nicht noch mal durchmachen. Nicht, dass er nicht wieder jemanden dafür finden könnte. Aber es müsste ein sehr alter sein, wie wir es waren.« Sie blickte wieder zu Stephan auf. »In gewisser Weise warst du genau das, was er seit Jahrhunderten gesucht hatte. Du bist unglaublich mächtig, Stephan. Selbst heute weißt du vielleicht noch nicht, wie mächtig. Dein einziger Fehler war, dass du selbstständig gedacht hast«, schloss sie mit einem reuevollen kleinen Lächeln.
»Genau wie du«, entgegnete er überraschend sanft.
»Ich hoffe, dass es so ist«, erwiderte sie. Einen Moment lang sah sie Ann an, dann richtete sie den Blick wieder auf Stephan. »Uns war nicht bewusst, dass eine einfühlsame Frau wie sie deine Macht nicht nur erhöhen, sondern auch verhindern könnte, dass diese Macht dich zerstört. Und dabei hatten wir unseren Plan so sorgfältig umrissen.« Sie schüttelte den Kopf. »Einen von Natur aus mächtigen Mann finden, seine Macht durch sexuelle Stimulation erhöhen und beherrschen und ihn dann kontrollierte Orgasmen lehren. Wir erzeugten eine perfekte Waffe. Und wenn wir sowohl die Macht des Mannes erhöhten als auch seine Orgasmen unterdrückten, konnte er natürlich auch vernichtet werden, das war der Plan. Das hatten wir durch Zufall ja entdeckt.« Sie lachte, aber ohne einen Funken Heiterkeit.
Der Fleck an der Wand. Fast wäre von Stephan in dieser Nacht nicht mehr als ein solcher Fleck übrig geblieben.
»Ich dachte immer, Macht zu teilen, würde sie verringern«, sinnierte Freya laut weiter. »Und Emotionen? Emotionen, so hieß es, würden dir die Kraft entziehen. Wer hätte gedacht, dass du das Potenzial von Gefühlen erkennen würdest, indem du sie teiltest und zuließest? Denn so war es doch bei dir, nicht wahr?«
Stephan nickte. »Es hat meine ganze Kraft erfordert. Ich dachte, ich würde Ann umbringen.«
Diesmal war es Freya, die nickte. »Ich habe die Emotion in der Luft gespürt, sobald du es beschlossen hattest.« Wieder blickte sie von Ann zu Stephan und seufzte dann. »Du hast einen Höhepunkt bei ihr gehabt, nicht wahr?«
Er nickte. »Und es hat sie weder verletzt noch ihr geschadet.«
»Weil sie nicht verrückt ist.«
Ann war es ein bisschen leid, dass in der dritten Person über sie gesprochen wurde. »Und weil wir uns sehr gern hatten, als es geschah. Es war die heilende Erfahrung, die es sein sollte, und daher überhaupt nicht schädlich.«
Freya zog die Brauen hoch und dachte nach. »Dazu kann ich nichts sagen. Für uns war es immer nur ein Auftrag.«
Ein Auftrag, den ihr Vater ihnen gegeben hatte. Das war das Traurigste, das Ann bisher aus ihrem Mund gehört hatte.
Mit einem etwas hilflos wirkenden Gesichtsausdruck blickte Freya auf die noch rauchenden Kohlestückchen zu ihren Füßen. »Tja ...« Langsam drehte sie sich um und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, auf die Treppe zu, die in den Garten führte.
25. Kapitel
S tephan und Ann sahen ihr nach. Auch Ann kam sich ein bisschen hilflos vor. Wie ging es jetzt weiter? Was geschah nach Folter und Tod, glühender Macht
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