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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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schnalzte mit der Zunge. Dieses Bekennerschreiben hatte er dem Österreicher nicht gezeigt. Und seiner Tochter – wie hieß sie doch gleich, Lena, ja – erst recht nicht. Vielleicht später, wenn er ihnen ein bisschen mehr Angst machen musste. Aber nicht jetzt.
    Noch einmal reckte sich der Kommissar, drückte den Powerknopf und schaute dem PC beim Herunterfahren zu. Dann lauschte er. Die Büros lagen still da; in dieser Etage schien keiner Nachtschichten einzulegen. Frenyczek stand auf, machte die paar Schritte ans Fenster und schaute hinunter auf seine Stadt. Tief hinunter, denn das Präsidium, ein protziger, verglaster Rundbau aus den Neunzigerjahren und im Volksmund »Bullen-Palast« genannt, war das zweitgrößte Gebäude Budapests: 93 Meter hoch, zumindest wenn man die schlachtschiffgroße Antenne mitzählte. Der Kommissar schaute auf seine Armbanduhr. Kurz vor Mitternacht, er musste los.
    Es war Zeit.
    23.48 Uhr, Burgberg
    »Wie lange noch?«
    Aber Lázlos Führer antwortete nicht. Seit zehn Minuten vielleicht schlurfte er vor ihm her, querte die Gassen des Burgviertels und brachte sie auf die andere Seite des Budapester Burgberges. Wollte man diese berühmteste Sehenswürdigkeit der Stadt besteigen, gab es drei Möglichkeiten: Entweder man bezwang die neunzig Meter, wie Lázlo vorher, mit vielen Treppen und Stufen. Oder, was vor allem die Touristen liebten, man nutzte die vorsintflutliche Drahtseilbahn aus dem 19. Jahrhundert. Mit dem Auto schließlich kam man von der Rückseite des Burgberges und schraubte sich die Zickzackstraße empor. Dorthin, weg von der Donau, weg von der Burganlage, schien Frosch ihn zu führen. Schon nach wenigen Metern hatte die Stille der Gassen sie umschmeichelt, die Dunkelheit sie umarmt. Ihre Schritte auf dem alten Pflaster klackerten leise, die Musik, das Lachen und Reden waren längst verklungen. Lázlo schwitzte. Der Sommer wrang jeden in Budapest aus wie einen nassen Lappen, und auch die Nachtluft kühlte kaum.
    »Was wird das denn«, fragte Lázlo, »eine bescheuerte Nachtwanderung, oder was?«
    »Sind gleich da«, brummte der Hänfling.
    Aber noch weitere fünf Minuten gingen sie an den uralten Befestigungsmauern der Burg entlang. Die wenigen Straßenlaternen leuchteten hier nur schwach; Lázlo schloss mit sich eine Wette ab, wer in dieser Finsternis zuerst stolpern würde. Er verlor – keiner stürzte. Noch bevor einer von ihnen ins Wanken geraten konnte, bog Frosch von der Straße ab und trottete über sommerverbrannten Rasen direkt bis zur Steinmauer der Burg. Im Dunkeln kaum auszumachen, war in die mächtigen Felsquader eine kleine Metalltür eingelassen, gegen die Lázlos Führer jetzt rhythmisch klopfte.
    »Wow, ein Geheimcode, echt toll.« Lázlo grinste oder versuchte es zumindest. Aber Frosch reagierte nicht auf seinen Spott. Filmreif quietschend wurde die Tür in der Mauer aufgezogen.
    »Szervusz, Frosch!«
    »Hallo, André. Das ist der Neue.«
    Diesen André erhaschte Lázlo nur als Silhouette – besonders hell war es hier auch nicht. Aber das reicht ihm, um zu erkennen, wo er gelandet war: die Gänge unter der Burg. Kilometerweit zogen sich weitverzweigte Tunnelsysteme durch den Berg, durchlöcherten ihn wie Motten ein gammliges Stück Stoff. Diese Gänge waren immer wieder Schauplatz für Kämpfe und Schlachten gewesen: Ob die Türken im 16. Jahrhundert oder die Deutschen im Zweiten Weltkrieg – schon immer waren diese Höhlen Versteck und Kriegsgebiet zugleich gewesen.
    Lázlo blinzelte im Zwielicht. Das versprach doch interessanter zu werden, als er geglaubt hatte, denn so einfach konnte es nicht sein, hier unten eine Privatparty zu feiern.
    Frosch führte ihn tief in den Budaer Burgberg hinein. Nur alle fünfzig Schritte hing eine Glühbirne an einem Kabel von der Decke. Ansonsten gab es nichts hier – Betonwände, Sickerwasser, das Echo ihrer Schritte und endlich eine angenehme Kühle. Der kahle Gang war leicht abschüssig, wie der Weg in einen Bunker fühlte sich das an. Lázlo fröstelte, dann hörte er Stimmen. Rufe, Klatschen, etwas wie eine Trommel.
    Frosch führte ihn in ein Stollen-Labyrinth, aus dem er alleine wohl nicht mehr hinausfinden würde. Zwielicht und Betonwände überall, immer wieder eine kahle Kreuzung. Immerhin schienen sie sich dem Lärm zu nähern, bis der Gang endlich einen letzten Knick machte und sich in einen großen Raum öffnete. In einen sehr großen Raum.
    »Wir sind da«, brummte Frosch überflüssigerweise.
    Lázlo

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