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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Zukunft, wir müssen sie selber gestalten. Ihr müsst sie gestalten. Ihr müsst unser Volk, müsst euch selbst erlösen.«
    Stille. Dann dröhnte es aus hundert Kehlen: »Auf in die Freiheit!«
    Und für einen Augenblick, nur für den Bruchteil einer Sekunde, wollte Lázlo mitschreien.

4
    Sonntag, 31. Juli
    14.22 Uhr, Gellértberg, Höhlensystem Molnár János
    »Alles komplett und bereit?«
    »Voll frohen Muts und Heiterkeit!«
    Lena grinste ihren Vater an und bekam von ihm ein Lächeln zurück. Nonsens-Gedichte. Die halfen auch gegen das bisschen Aufregung, das Lena bei jedem Tauchgang aufs Neue überfiel. Zumal Tauchen in Höhlen wahrlich nicht gefahrlos war, wie Emil Meinrad nicht müde wurde zu betonen. Sie hockten nebeneinander am Rand eines kleinen Beckens, trugen Neoprenanzüge, Flossen und zwei Pressluftflaschen auf dem Rücken. Der Einstieg in die unterirdischen Höhlen, in das seltsame Wasserreich von Budapest lag mitten in der Millionen-Stadt am Fuß des Gellértbergs * . Jeder Sporttaucher konnte einen Trip hinunter buchen und manch ein Budapester hatte schon gestaunt über die Froschmänner mitten auf der Straße.
    Lena spuckte in ihre Taucherbrille, damit sie nicht beschlagen konnte, wusch kurz aus und stülpte sie sich übers Gesicht. Noch ein Probezug aus dem Lungenautomaten, ein mit Daumen und Zeigefinger geformtes »Okay«, dann ließ sie sich ins Wasser gleiten.
    Wie jedes Mal tauchte sie nicht nur in das flüssige Nass, sondern in eine eigene Welt. Hier, unter Wasser, herrschten zwei Götter: die Dunkelheit und die Stille. Gegen die Dunkelheit setzte Lena den starken Halogenscheinwerfer in ihrer Hand ein, gegen die Stille half nichts. Die Stille beim Tauchen, das war ihr eigener Atem, das mechanisch klingende Huh-Hah, wenn sie Pressluft aus dem Lungenautomaten saugte. Die Stille, das waren ihr Atem und ihr klopfendes Herz.
    Lena überließ ihrem Vater die Führung, der mit langsamen Flossenschlägen in die Tiefe schwamm. Das Becken verjüngte sich rasch. Konnte sie eben noch im Licht ihrer Lampe algenbewachsene Ziegel erkennen, verwandelten die sich jetzt in Fels. Vorsichtig tastete sie nach der Sicherungsleine und blickte auf ihren Tiefenmesser: gerade mal fünf Meter. Lena versuchte so regelmäßig wie möglich zu atmen. Dieser Tauchgang heute war nur zur Einstimmung gedacht, die richtige Arbeit würde morgen mit erheblich mehr technischem Aufwand losgehen. Jetzt aber wollten sie ein Gespür für die Höhle bekommen, sich herantasten an diese Unterwasserwelt und sich »wieder Schwimmhäute wachsen lassen«, wie ihr Vater sagte. Natürlich hatte man das Höhlensystem unter Budapest, die Molnár János, schon ausgiebig erforscht. Mehr als drei Kilometer Wassertunnel und Grotten waren bis jetzt kartografiert und mit Leinen ausgestattet, an denen man sich durch das Nass ziehen konnte. Sporttaucher aus ganz Europa kamen hierher, um sich diese Wunderwelt zeigen zu lassen.
    Lena zog sich an der Leine entlang und sah im Licht ihrer Lampe, wie ihr Vater verschwand. Schnell schwamm sie näher an eine graugelbe Felswand heran und entdeckte ein Loch. Sie zwängte sich hindurch, die 12-Liter-Flaschen auf ihrem Rücken kratzten am Stein. Kein schönes Geräusch in der großen Stille des Wassers. Sie flutschte durch die enge Öffnung und folgte der Schlucht, die sich auszubreiten begann. Ihr Vater wartete auf der anderen Seite; wieder formte sie das »Alles in Ordnung«-Zeichen und stieß blubbernde Luftblasen aus. Je länger der Tauchgang dauerte, desto mehr gefiel es Lena in der Molnár János, den Unterwasserhöhlen von Budapest. Manchmal waren die Gänge so schmal, dass sie nur als Einbahnstraße genutzt werden konnten, manchmal öffneten sich Höhlenräume so groß wie Kathedralen. Lena schwamm, nein flog durch riesige wassergefüllte Dome und Kuppeln aus Stein. Die Sicht war hervorragend, das warme Wasser glasklar. Nur wenn ihre Flossen den Boden berührten, wirbelten Sand und Schlick zu ihr herauf. Einmal zeigte ihr Vater Lena einen versteinerten Haifischzahn im Fels, so groß wie ihre Hand. Ein anderes Mal leuchtete im Licht ihrer Handlampe eine Wand auf, die über und über mit braunen Kristallen bedeckt war und unheimlich funkelte. Unheimlich, ja. Aber auch wunderschön.
    Lena grinste glücklich, sodass ihr prompt Wasser in die Mundwinkel lief. Warm und ein bisschen schweflig. Thermalwasser eben. O ja, sie würde es hier die nächsten Wochen aushalten. Schönere Sommerferien konnte sie sich nicht

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