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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Frosch wartet an der Mauer auf dich.«
    »Nem, Janosch. Mit euch Faschos will ich null Komma nichts zu tun haben.« Lázlo drückte das Gespräch weg und warf sein Handy aufs Bett. Aber sofort jammerte es wieder los – die E-Gitarre zerrte an Lázlos Nerven. Tapfer ertrug er das Kreischen immerhin eine halbe Minute lang – er musste diesen Klingelton unbedingt ändern. Dann griff er sich doch das Telefon. »Nein, Janosch, und wenn du noch hundertmal bettelst!«
    »Holló hat sich das schon gedacht, weißt du? Er will mit dir sprechen. Er … war ein Freund deines Vaters, Lázlo.«
    Diesmal beendete Janosch den Dialog. Lázlo drückte sich das Handy ans Ohr, lauschte verzweifelt und hörte nichts mehr. Erinnerungen, hatte Lázlo irgendwann gemerkt, kamen auf zweierlei Arten: Entweder sie schlichen sich an wie ein Raubtier, man hörte nur das Knacken, ahnte eine schemenhafte Bewegung im Busch, erkannte langsam die Konturen und beobachtete fasziniert, wie die Katze sich näherte. Oder aber sie schlugen ohne Vorwarnung zu. Eben noch telefonierte man genervt und dann traf einen die Tatze eines riesigen Braunbären mit unglaublicher Wucht im Rücken.
    Der Tod seines Vaters war ein Grizzly. Wieder sah Lázlo sich selbst vor fünf Jahren. Ein richtiges Kind war er da noch gewesen, ein kleiner Junge mit seinem Papa unterwegs. Ein Ausflug wie in den Zoo hätte es sein können, nur dass sie nachts unterwegs waren. Eine heiße Sommernacht, noch mehr Menschen als sonst auf den Straßen, viele mit der Flagge Ungarns, den drei Streifen in Rot, Weiß und Grün. Manchmal zog Papa Lázlo vorwärts, manchmal trug er ihn auf dem Rücken. In einem immer dichter werdenden Menschenstrom hatten sie sich auf das Parlament zubewegt, den Sitz der ungarischen Regierung. Auch hier Fahnen und Flaggen, auch hier wütende Rufe und Schreie: Auf, auf, Ungarn!
    »Du musst lernen«, hatte sein Vater gesagt, »dass jeder einzelne Mensch entscheidet. So klein er auch ist.«
    Das gewaltige Parlamentsgebäude leuchtete in der Nacht wie ein Märchenschloss mit 10 000 Menschen davor. 10 000 Stimmen, die der Regierung Lügen vorwarfen und ihren Rücktritt verlangten. Lautere Rufe, wütenderes Poltern. Dann Schreie, berittene Polizisten und andere ohne Pferd, eingehüllt in ihre blau-schwarzen Uniformen und die dunklen Helme, in der einen Hand ihre mannshohen Schilde, in der anderen Schlagstöcke. Schreie, die plötzlich anders klangen, nicht mehr wütend, sondern ängstlich. Sein Vater, der ihn auf seine Schultern packte und sich gegen den Strom der Demonstranten zu drängen begann. Er wurde herumgestoßen und angebrüllt. Alles wurde lauter und kreischender. Flammen züngelten auf, ein Auto wurde umgekippt, Tränengas dampfte in den Straßen, gespenstisch leuchtend in der Nacht. Lärm. Chaos. Und auf einmal die Wasserwerfer, die Lázlos Vater von den Beinen fegen. Prügelnde Polizisten und schlagende Demonstranten treffen aufeinander, sein Vater kriecht auf ihn zu, schützt ihn mit seinem Körper, hüllt ihn ein mit Armen, Beinen und Oberkörper, während Schreie und Schläge über sie hinwegrollen wie eine bösartige Welle. Lázlo ist ganz still. Nichts sehen, nichts hören. Er riecht Schweiß und Angst und bald etwas anderes, von dem er noch nicht weiß, dass es Blut ist.
    Das Blut seines Vaters.
    18.00 Uhr, Gellért-Bad
    Imre Rutschek starrte in das Wasser, farblos und klar mit dem Hauch von Blau, das es durch die Kacheln des Beckens bekam. Keine Spur von Blutrot. Eine ganze Woche lang hatten sie das Thermalbad gesperrt, jetzt planschte man wieder herum, auch wenn weniger los war als sonst. Imre grinste: Ihm sollte es recht sein. Die Wärme tat seinen Knochen wohl, und das Ausbleiben der Touristen, die vor harmlosen Rotalgen Angst hatten, hob seine Stimmung. Er schloss die Augen und ließ sich tiefer in das Wasser gleiten, bis sein Kopf eintauchte. Er lauschte dem leisen Sprudeln, dem trägen Schlag seines Herzens. Er näherte sich den siebzig, sein Lauf auf der Erde würde bald enden. Er freute sich schon auf das Ziel: endlich ausruhen.
    Prustend tauchte Imre auf und zog sich die Badekappe fester über die Ohren. Er begann die zweite Ungarische Rhapsodie von Franz Liszt * zu pfeifen. Es war kein einfaches Stück mit einer freudigen Melodie, sondern eine Art melancholischer Todesmarsch. Ihn wollte er heute Abend spielen. Er würde für Géza einspringen, der krank geworden war. Live-Musik für die Gäste eines Restaurants, das machte Imre Rutschek schon

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