Blutrotes Wasser
Kontrabass kreiseln und der andere quetschte sich hinter eine Art Hackbrett-Klavier * , dessen Saiten mit Klöppeln angeschlagen wurden. Noch einmal zwinkerte der Geiger und Lena machte sich auf das Schlimmste gefasst.
Dann aber begann Imre Rutschek die Ungarische Rhapsodie Nummer 2, cis-Moll, zu spielen.
22.50 Uhr, Burgberg
Diesmal war Lázlo pünktlich. Wer auch immer Holló, der Rabe, war, was auch immer er mit einem Kindergarten voll rechter Idioten wollte – wenn er seinen Vater gekannt hatte, würde Lázlo mit ihm reden. Während er an der Festungsmauer entlangglitt, nahm er kaum etwas wahr – nicht die laue Nachtluft, nicht die schaukelnde Mondsichel, nicht das sommerliche Zirpen der Grillen. Er dachte an seinen Vater. Versuchte sich an sein Gesicht zu erinnern, an seine Stimme. Aber alles, was er hören konnte, war jener letzte Satz von ihm: »Du musst lernen, dass jeder einzelne Mensch entscheidet. So klein er auch ist.« Lázlos Vater war an inneren Blutungen gestorben, drei Tage nach den Unruhen vor fünf Jahren. Es war ein Unfall gewesen, hatten sie damals gesagt. Eine halbherzige Untersuchung hatte nichts gebracht, außer die Bullen von jeder Schuld freizusprechen. Niemand konnte wissen, wer da geschlagen, getreten und geprügelt hatte. Stimmte ja auch.
Irgendwie.
Als Lázlo die metallene Tür in der Wehrmauer erreichte, wartete Frosch schon auf ihn. Wortlos nickte er und klopfte sein tolles Geheimzeichen. Auch Lázlo schwieg. Reden wollte er nur mit einem Einzigen. Mit dem Raben.
Wieder führte ihn Frosch durch die betonkahlen Tunnelanlagen. Diesmal brachte er ihn aber nicht in die große Halle, sondern in einen kleinen, spartanisch ausgestatteten Raum: Feldbett, Tisch mit zwei Stühlen, Stehlampe und Notebook. Kahle Bunkerwände, ein Halogenstab an der Decke. Keine Spur mehr von Trommeln, Fackeln und dem ganzen Trara von gestern.
»Warte hier«, sagte Frosch und ließ Lázlo allein.
Nach einer Handvoll Minuten stand er auf und tigerte durch das Zimmer. Warf einen Blick auf den Computer, der aber abgeschaltet, dunkel und stumm auf der Tischplatte stand. Mit schnellen Schritten lief er hin und her. Was sollte das jetzt? Wollten sie ihn mit der Warterei noch nervöser machen, als er es ohnehin schon war?
Die Tür öffnete sich.
»Entschuldige, dass ich dich warten ließ, Lázlo.«
Schwarzer Umhang, silberne Metallmaske. Ganz ohne Special Effects ging es wohl doch nicht. Aber zumindest den Lorbeerkranz schien er diesmal im Schrank gelassen zu haben. Die Stimme des Raben klang allerdings auch heute nicht … natürlich. Da ist kein Mikro diesmal, dachte Lázlo, trotzdem klingt er irgendwie verzerrt. Vielleicht lag das einfach nur an der Maske. Jetzt, aus der Nähe betrachtet, erkannte er deren kunstvolle Formen, die akribisch ins Metall getriebenen Linien, die die Augenbrauen markierten und die fein ausgearbeiteten metallenen Lippen. Das war keine billige Commedia-dell’Arte-Maske.
Hinter Holló schlüpfte Janosch herein und warf Lázlo sein greises Lächeln zu. Der Rabe ging auf Lázlo zu. Hellblaue Augen leuchteten in den Löchern der Maske auf. »Du siehst deinem Vater nicht sonderlich ähnlich.«
Lázlo atmete aus. Das zumindest stimmte schon mal. Seine schmale Nase, die dunklen Haare und die helle Haut hatte er von seiner Mutter. »Aber von mir hast du das Herz«, hatte sein Vater gescherzt. Damals.
Holló streckte die Hand aus. Lázlo schüttelte sie und kam sich bescheuert vor. Registrierte die schwarzen Lederhandschuhe. »Wozu«, krächzte er, »diese Verkleidung?«
Der Rabe lachte. »Du kommst gleich zur Sache, nicht wahr?« Mit einer knappen Geste deutete er auf den Stuhl. Sie setzten sich und starrten sich an. Janosch blieb ein Schatten an der Tür.
»Ich bin ein der Öffentlichkeit nicht gänzlich unbekannter Mann«, schnarrte Holló. »Und außerdem hat diese ganze … Verkleidung ja auch ihren psychologischen Wert. Oder?«
Lázlo nickte nur.
Auch Holló schwieg eine Weile. Irgendwo brummte ein Ventilator. Abrupt beugte sich der Rabe vor. »Wusstest du, Lázlo, dass die römischen Feldherren Masken wie diese trugen? Aus Eisen geformt, mit Silberblech überzogen. Als Schutz für die weiche Gesichtshaut. Aber nicht nur. Ich stelle mir die Römer vor, wie sie den Barbaren trotzten und ein Land nach dem anderen eroberten. Was mögen die Germanen gedacht haben, als diese gepanzerten Reiter auf sie lospreschten? Welche Angst müssen sie gehabt haben? Reiter wie Statuen aus Erz.
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