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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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lange nicht mehr. Jahrzehnte war er als Stehgeiger unterwegs gewesen, hatte der Violine Töne entlockt, die keinem der Wiener Philharmoniker gelungen wären. Imre lächelte und platschte die getragenen Basstöne von Franz Liszt ins Thermalwasser. Heute spielte er nur noch für sich selbst. Und auch das nur manchmal, wenn er Lust darauf hatte. Denn obwohl es keiner wusste, war Rutschek reich wie Bill Gates, na ja, nicht ganz, aber fast. Über Geld machte er sich schon lange keine Gedanken mehr. Nur über die Musik. Und über die Zielgerade des Lebens, auf die sein 70-jähriger Körper gerade zurannte. Ein zweites Mal ließ sich Imre ins Wasser sinken, lauschte und machte die Augen auf: glasklares Wasser. Keine Spur von Rot.
    19.18 Uhr, Restaurant Százéves, Pesti Barnabás utca
    »Was können Sie uns empfehlen?« Emil Meinrad schaute von der Speisekarte hoch und wandte sich fragend an Sándor Palotás. Der war Mister Höhlentaucher Nummer eins in Budapest und kannte sich in dem Gangsystem unter Wasser aus wie kein Zweiter. Sándor war nicht gerade erfreut gewesen, als der Forscherkollege aus Wien angereist war und »seine« Höhle übernommen hatte.
    »Nun, die Rinderbacken mit Semmelknödeln«, brummte Sándor und strich über die Speisekarte, so groß wie eine Tageszeitung, so dick wie die Bibel. Er war immer noch nicht begeistert von diesen österreichischen Tauchern, gab sich aber Mühe. »Oder die, wie würden Sie sagen, Medaillons vom Schwein mit gebratenen Kartoffeln.«
    »Das nehm ich«, sagte Lena schnell – die Rinderbacken sollte mal lieber ihr Vater ausprobieren. Nach dem Tauchgang waren sie zurück ins Hotel gefahren, hatten sich ein bisschen ausgeruht und fanden sich nun hier wieder ein, in der altehrwürdigen Gaststätte
Százéves
, die aus den uralten Fernsehfilmen in Schwarzweiß zu stammen schien, die sich Lenas Mutter manchmal anschaute: die Decke flach gewölbt, bunte Glasfenster, Parkettboden, barocke Möbel und tausend Kerzen. Na ja, hundert waren es bestimmt. Lena beäugte misstrauisch die an einer Ecke aufgebauten Instrumente – von der berühmten ungarischen Zigeunermusik hatte sie zwar schon gehört, aber das langte ihr auch schon: Wirklich und real hören musste sie die nicht.
    Sie warteten noch einen Augenblick, bis Professor Radelodz von der Universität dazukam. Als Lenas Bauch ganz undamenhaft zu knurren begann, erbarmte sich Sándor und bestellte das Essen. Palotás sah nett aus, fand Lena. Ein grauer Dreitagebart stoppelte sich um sein Kinn und die Haare waren auch nicht länger – praktische Taucherfrisur eben. Die grünen Augen lächelten, die Lippen auch; der Mann war braun gebrannt, topfit und ziemlich dünn. Musste er auch sein, wenn er sich durch manche Löcher in den Unterwasserhöhlen quetschen wollte.
    »Oh, ich weiß nicht mehr«, erklärte er gerade Emil Meinrad. »Zwischen 13 000 und 16 000. Aber irgendwann habe ich aufgehört meine Tauchgänge ins Logbuch einzutragen. Könnten also auch ein paar mehr sein.«
    »Und im Budapester Höhlensystem?«, fragte Lenas Papa.
    »Über 3000, denke ich.«
    Emil Meinrad pfiff durch die Zähne. »Und Sie?«, fragte er Professor Radelodz.
    »Ich?« Er nahm seine Brille ab und putzte sie mit Hingabe. »Keinen einzigen. Ich bin Speläologe und kein Taucher.«
    »Aber wie …?«
    »Ich begleite die Expeditionen sozusagen von draußen.« Radelodz war endlich mit seiner Brille zufrieden. »Ich werte die Daten am Computer aus, beobachte die Teilnehmer per Webcam und analysiere die Fundstücke. Das reicht mir.«
    »Ah, ja.« Emil Meinrad war offensichtlich sprachlos. Lena grinste: Das passierte ihm nicht besonders oft.
    »Also, ich halte das Ganze nach wie vor für einen ziemlichen Unfug!« Sándor fuchtelte mit seiner Serviette herum. »Farbstoff in meiner Höhle? Das ist alles viel zu umständlich, glauben Sie mir. Wenn jemand Gift in das Thermalbad leiten will, dann gibt es einfachere Methoden. Und Sie können nicht wirklich glauben, mit Ihren Strömungsmessern …«
    Lena schaltete auf Durchzug. Sie hatte schon zu oft solche Skeptiker gehört, um sich die ewig gleichen Argumenten noch mal reinzuziehen. Außerdem wurde sie von einem Opa in Smoking und mit Fliege am Hemdkragen abgelenkt, der ihr zuzwinkerte. Zuerst hielt Lena ihn für den Chef-Oberkellner, aber die liefen eigentlich alle in grüner Livree herum. Als sie ihn aber nach der Violine greifen sah, wusste sie, was Sache war. Zwei weitere Musiker tauchten auf: Einer ließ den

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