Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
Vom Netzwerk:
vorstellen.
    16.03 Uhr, Wohnsiedlung Faluház
    Lázlo schreckte auf und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen. Draußen brannte die Nachmittagssonne, in ihm brannten Angst und Qual. Es war einfach zu viel. In der Nacht, nachdem die Faschos ihre Hauptversammlung beendet hatten, war Janosch auf ihn zugestürmt und hatte ihn noch eine Stunde lang zugequatscht. Erst dann hatten sie Lázlo gehen lassen. Aufgewühlt war er die halbe Nacht quer über den Burgberg getigert, den Nachhall der ganzen Brüllerei im Kopf: Auf in die Freiheit.
    Lázlo quälte sich aus dem Bett. Den halben Tag hatte er verschlafen, aber der Rest lag trostlos vor ihm wie eine tödliche Wüste. Und nicht nur dieser Tag – die Einöde der Sommerferien erstreckte sich bis zum Horizont. Jeder normale Typ hätte sich auf schulfreie Zeit gefreut, aber er? Schule war ätzend, aber Nichtstun fast noch schlimmer. Dann hatte er Zeit, der Betonmischmaschine zu lauschen, die sein Herz war, dann tauchten die Bilder auf wie riesige Werbeflächen: der Tod seines Vaters, der Zusammenbruch seiner Mutter, die Wut über das Leben und Irina, wie sie über ihn lachte. Und natürlich auch sein knapp verpasstes Rendezvous mit Meister Tod: Badewanne und Rasiermesser. Irina, diese dumme Schlampe! Der würde Lázlo es noch zeigen. Hass tobte durch seinen Bauch und zog die Knoten enger. Er keuchte, kramte seine Klamotten vom Boden und zog sich an. Auf in die Freiheit, echote es in seinem Kopf. Noch im Traum hatte er die Horde Nazis brüllen und den Rabenmann mit schwarzem Umhang und Silbermaske spöttisch lachen hören.
    Darauf geschissen. Er konnte froh sein, aus diesen Tunneln überhaupt so glimpflich wieder rausgekommen zu sein. Mann, war das abgefahren gewesen …
    Von nebenan hörte er das leise Plätschern von Fernsehdialogen und roch den Gestank von Mamas Zigaretten. Seine Mutter. Wie so oft in den letzten Tagen blitzte ihr Gesicht in seiner Erinnerung auf, als er im Krankenhaus erwacht war. Ihr gespenstisches Starren. Ihre hoffnungslosen Augen. Seitdem hatte sie kein einziges Wort über … über diese Sache verloren. Ihre Kommunikation beschränkte sich auf ein »Ich geh dann« oder »Guten Appetit«. Obwohl der ihnen beiden schon lange vergangen war. Seit fünf Jahren, um genau zu sein. Zögernd machte Lázlo einen Schritt auf die Soap im Fernsehen zu. Und noch einen. Leise öffnete er seine Zimmertür einen Spaltbreit und linste hindurch: Seine Mutter starrte auf den Fernseher, als wäre es kein Bildschirm, sondern die Glaskugel einer Wahrsagerin. Er zögerte. Sollte er nicht doch versuchen mit ihr zu reden? Sollte er sich entschuldigen? Konnte er das überhaupt, wollte er es? Aber für seine Wut, für seine Verzweiflung war Mama schließlich nicht verantwortlich. Oder doch?
    Der Betonmischer in seiner Brust sprang erneut an und drehte sich im Kreis. Geh hin zu ihr, sagte sich Lázlo. Und wenn du schon nichts sagen kannst, dann glotz einfach mit ihr zusammen zehn Minuten in den Fernseher.
    Und wozu?, fragte der andere Lázlo. Das hat eh keinen Sinn. Nichts hat einen. Und komm mir jetzt nicht mit dem Scheiß von wegen »Etwas Besseres findest du überall«. Woher willst du das denn eigentlich wissen, du kleiner Arsch?
    Lázlo kniff seine Augen zusammen. Nichts sehen, nichts hören. Seine Hand lag auf der Klinke, sein Herz klopfte wild. Jetzt mach schon, befahl der eine Lázlo in seinem Kopf. Geh hin zu ihr. Mach ihr einen dämlichen Kaffee oder sonst was.
    Die Augen immer noch geschlossen zog seine Hand am Türgriff, machte sein linker Fuß einen Schritt in Richtung Wohnzimmer.
    Ein quälend lauter E-Gitarren-Riff ließ ihn zusammenzucken: Sein Handy jaulte. Lázlo öffnete die Augen, schloss dafür die Zimmertür wieder und schnappte sich das Ding, bevor der Sowjet-Nachbar aus Trotz seine Blaskapelle anschmiss.
    Anzeige unbekannt, blinkte auf dem Display.
    »Ja?«
    »Szervusz, Lázlo. Ich wollte dich …«
    »Scheiße, Janosch. Woher hast du meine Nummer?«
    Ein Lachen. »Die Schwarze Armee kümmert sich um ihre Leute.«
    »Nur dass ich nicht dazugehöre. Tut mir leid, aber ein Kaffeekränzchen mit Rechtsradikalen und Neonazis ist nichts für mich.«
    Wieder lachte Janosch. »Lass dich doch von den Sprüchen nicht täuschen. Manche brauchen einfache Parolen und keine Theorie. Nicht alle sind so klug wie du, Lázlo.«
    Diesmal lachte Lázlo auf. Klug? Er war ja nicht einmal schlau genug zum Sterben. »Was willst du, Janosch?«
    »Heute Abend, wieder um elf.

Weitere Kostenlose Bücher