Blutrotes Wasser
Sein Kopf drehte sich. Müde, müde, müde. »Ja, ja«, murmelte er.
»Nun, sag schon«, drängelte Janosch. »Kontaktaufnahme mit der Zielperson erfolgreich?«
»Ja, doch.«
»Und, ansehnlich die Kleine, was?«
»Kann sein.«
»Ich jedenfalls würd sie nicht von meiner Matratze schubsen.«
»Was willst du, Janosch?«
»Dir gratulieren. Für die Erfüllung deines ersten Auftrags bei der Schwarzen Armee.«
»Danke«, grummelte Lázlo. Müdemüdemüde. Das Gespräch mit diesem Mädchen, mit Lena, hatte seine letzten Kraftreserven verbraucht.
»Und mich beschweren«, fügte Janosch hinzu.
»Was?«
»So fest hättest du nicht zuschlagen brauchen.« Janosch zeigte auf seine aufgeplatzte Lippe. Ein paar Brocken verkrustetes Blut klebten noch daran.
»Dein Schlag war auch nicht gerade schwach.« Lázlo fuhr vorsichtig mit einem Finger um sein halb zugeschwollenes, veilchenblaues Auge. Dann zuckte er nur erschöpft mit den Schultern: Er war eben kein Stuntman. Janosch hatte ihr den Rucksack geklaut, Lázlo hatte den bösen, bösen Dieb gejagt und zur Strecke gebracht. Fertig.
»Du kommst doch heute Abend?«
»Was? Ich bin völlig fertig, Janosch.«
»Du wirst doch kommen? Wir brauchen dich.«
»Jaja.«
»Dann ruh dich aus. Aber nicht zu lange. Pennen kannst du, wenn Ungarn erwacht ist.«
Etwas in Lázlo wollte aufbegehren, wollte diesen kleinen, greisengrinsenden Jungen anschreien, er solle sich sein erwachendes Ungarn sonst wo hinstecken. Aber Lázlo schwieg.
»Bis nachher also«, verabschiedete sich Janosch, klopfte ihm auf die Schulter und huschte davon.
Lázlo schüttelte sich. Benommen drang er in die düsteren Gänge des größten Plattenbaus des Landes ein. Bezwang das Treppenhaus, Stufe um Stufe. Öffnete die Wohnungstür und lauschte. Seine Mutter war noch nicht da, die kam heute erst gegen sechs aus dem Parlament. Kein Zigarettenrauch, kein brabbelnder Fernseher. Ruhe. Sogar die Militärmärsche des Nachbarn schwiegen. Lázlo schlurfte in sein Zimmer, trat sich die Turnschuhe von den Füßen und warf sich aufs Bett. Einen Augenblick zuckten in seinem Kopf Bilder von seinem sterbenden Vater auf, von einer silbernen Gesichtsmaske und einem Mädchen mit kurzen blonden Haaren. Lena.
Dann schlief er ein. Die Diashow in seinem Kopf flirrte weiter. Brannte sich ein in seine Träume.
18.45 Uhr, Pension Liszt, V. Bezirk
»Wie war dein Tag?«
»Puh! So etwas fragt man seine Ehefrau, aber nicht seine Tochter!«
Emil Meinrad lächelte. »Dir scheint’s ja wieder bestens zu gehen. Ich frage ja nur, weil ich meine beste Mitarbeiterin langsam vermisse. Was meinst du, bist du morgen wieder fit fürs Tauchen?«
Lena schluckte. Ein paar Sekunden zögerte sie mit der Antwort, dann strahlte sie ihren Vater an. »Freilich. Wird mir sonst ohnehin viel zu langweilig hier.«
»Ist Budapest so schlimm?«
Wieder zögerte Lena einen Augenblick. Ihrem Vater stand ohnehin schon das Beschützer-Glitzern in den Augen – da musste sie ihm ja nicht auch noch vom Diebstahl ihres Rucksacks erzählen. »Immerhin habe ich ein neues Wort auf Ungarisch gelernt.«
»Aha. Und welches?«
»Kaffeehaus.«
Wieder lachte ihr Vater. »Kávéház. Nun, wahrlich keine besonders schwierige Vokabel.«
»Jedenfalls habe ich sie alle durchgemacht«, berichtete Lena. »Zuerst das Gerbeaud, dann das Café New York, das Centrál und dann … hab ich die restlichen Namen vergessen.«
»Alle Achtung«, kommentierte ihr Vater. »Das klingt nach einem … arbeitsintensiven Tag.«
Lena nickte nur. Nachdem Lázlo, ihr ziemlich ramponierter Rucksack-Held, gegangen war, hatte Lena Stunde um Stunde in den Kaffeehäusern zugebracht, sich die Menschen angesehen und ihr eigenes Leben. Immer wieder waren die Gedanken zu ihrem letzten Tauchgang zurückgekehrt wie hartnäckige Wespen. So viel Lena auch wedelte, die Viecher kamen immer wieder und brummten um die Minuten unter Wasser, als sie wie ein Korken im Höhlenfels gesteckt hatte. Ein echter Grübeltag.
»Na komm, lass uns essen gehen«, sagte Emil Meinrad und schaute ihr nachdenklich ins Gesicht. Anscheinend konnte er ebenso gut darin lesen wie Lena in seinem.
»Wieder Rinderbacken mit Semmelknödeln?«, grinste sie.
»Aber nein!« Ihr Vater winkte theatralisch ab. »Ich dachte eher an etwas richtig Ungarisches: Gulaschsuppe.«
19.08 Uhr, Vörösmarty tér, Metro-Station
Éva machte einen vorsichtigen Schritt – Rolltreppen waren ihr nicht geheuer. Wenn man sich nicht richtig festhielt,
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