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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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unterhalten.
    17.05 Uhr, Roosevelt tér
    »Und was ist jetzt so Besonderes daran?«, fragte Lena.
    »Das wirst du in Bälde erkennen. Wir starten übrigens auf dem Roosevelt-Platz. Das dort drüben ist die Ungarische Akademie der Wissenschaften.«
    Lena schaute aus dem Busfenster auf ein großkotziges graues Gebäude. »Aha«, sagte sie nur. Lázlo hatte sie über die Freiheitsbrücke bis hierhergeführt, von einem ganz besonderen Sightseeing-Bus erzählt und schließlich die Tickets gelöst. Der Andrang war so groß gewesen, dass Lena von dem Bus nicht viel erkennen konnte – außer dass er gelb war wie ein Quietsche-Entchen.
    Die Touristen drängten sich im Bus zusammen und knipsten los, sobald der Bus nur ein paar Meter rollte. Per Mikro wurden auf Englisch die Sehenswürdigkeiten erklärt, aber Lena hielt sich lieber an ihren privaten Reisescout. Außerdem sprach der ein zwar altertümliches, aber exzellentes Deutsch. Und so bekam Lena, nach einer Woche in der Stadt, endlich zum ersten Mal die wichtigsten Eckpfeiler im Touristenhaus Budapest zu sehen: Sie fuhren am wirklich beeindruckenden Parlament vorbei, einem gigantischen Zuckerbäckerhaus mit tausend Türmchen und Fenstern, warfen einen fotoschnellen Blick auf die St.-Stephans-Basilika, die Große Synagoge und auf den Heldenplatz. Dann fuhren sie wieder auf die Donau zu, kamen dem Fluss immer näher und noch näher, beschleunigten ein letztes Mal und fuhren mit dem Bus in die Donau hinein.
    Ein lautes Platschen, ein kollektiver Aufschrei und ein leises Kieksen von Lena. Trotz seiner Müdigkeit musste Lázlo grinsen – ihr verblüffter Ausdruck hatte sich wirklich gelohnt. Die Passagiere klatschen begeistert, als der Busfahrer seine Baseballkappe durch eine Kapitänsmütze ersetzte. Fragend schaute Lena ihn an.
    »Ein Amphibienbus«, erklärte Lázlo. »Die modernste Sehenswürdigkeit von Budapest.«
    Im gelben Bus schwammen sie an der Margareteninsel vorbei, schipperten unter der Kettenbrücke hindurch und schnauften schließlich wieder an Land.
    »Nicht schlecht«, sagte Lena. Und vergaß ihre Angst, ihre Panik beim Tauchen.
    Wenigstens für zehn Minuten.
    21.22 Uhr, Óbuda, Wohnsiedlung Faluház
    Lázlo träumte. Zusammen mit seinem Vater saß er am Fuß der Freiheitsbrücke und lauschte Papas Erzählungen. »Wie alle unsere Brücken wurde auch sie von der deutschen Wehrmacht gesprengt.« Während er sprach, explodierten die zwei mächtigen Pfeiler; Steinsplitter, Rauch und Feuer flogen durch die Luft und der schlanke, grazile Leib der Brücke begann grässlich zu schreien, bog sich und brach zusammen. »Krieg war immer böse, Lázlo. Und ist immer böse. Krieg ist der letzte Ausweg von Idioten. Gewalt kann nie gewinnen, Lázlo. Jeder einzelne Mensch entscheidet, so klein er auch ist. Lázlo.«
    »Lázlo!«
    Um sich schlagend wachte er auf. Seine Mutter beugte sich über ihn, er erkannte den üblen Geruch ihrer Zigaretten, noch bevor er die Augen aufriss.
    »Lázlo!«, wiederholte sie.
    »Mama. Wie spät ist es?«
    »Halb neun. Warum bist du so müde, Junge? Wo treibst du dich nachts rum? Wohin gehst du bloß immer?«
    »Nicht hier.« Er rappelte sich auf, fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht. »Mama, mach dir keine Sorgen. Alles wird jetzt besser werden. Ich habe Freunde kennengelernt. Wichtige Freunde.« Sollte er ihr von Holló erzählen? Sicher nicht. Die Bekannten seines Vaters hatten sie nie sonderlich interessiert. Er ist jetzt mein Freund, dachte Lázlo grimmig. »Du wirst sehen«, sagte er, »wie alles besser wird. Versprochen. Ich kann mich ändern. Ich habe mich geändert. Wir werden ein neues Leben anfangen. Ein richtiges Leben, auf, auf, Ungarn.«
    Lázlo brach ab. Er merkte selbst, dass er wie im Fieber redete, ein krankhaftes Brabbeln. Krank, vielleicht war er deshalb immer so müde. Eine Sommergrippe. Eine Erkältung. Nichts weiter.
    Sie saß an seinem Bett, schweigend, schaute, verschwamm im Halbdunkel des Zimmers. »Ich habe Angst, Lázlo«, sagte sie schließlich.
    Und ließ ihn allein.
    Er stöhnte auf, zerrte sein Handy aus der Hosentasche und warf einen Blick auf die Uhrzeit. Er musste los. Die Schwarze Armee wartete auf ihn. Und Holló. Und sein Schicksal.

10
    Aus dem Tagebuch
    Jahrelang tobte der Schmerz in mir. Wie ein Krebsgeschwür breitete er sich aus, verschluckte jedes andere Gefühl, jeden anderen Gedanken. Ich sah in die Augen meiner Freunde, und ich sah die Angst. Ich sah in die Augen meiner Nachbarn, und ich sah

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