Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
Vom Netzwerk:
zwar geduldet, aber nicht geschätzt. Scherereien mit den Behörden konnte Éva nun wirklich nicht gebrauchen. Vielleicht sollte sie dem Burschen einfach mit ein paar prächtigen Flüchen ins Gewissen reden. Sie lächelte, ohne den Mund zu öffnen. Gestern in der Metro hatte das jedenfalls geklappt. Der Rotzlöffel hatte einen Moment so ausgesehen, als wollte er sie schlagen, dann aber wortlos das Feld, na ja, den Sitzplatz in der U-Bahn geräumt.
    »Ph«, sagte Éva und trippelte hinter dem Dieb her. Das dauerte, denn schließlich war sie nicht mehr die Schnellste. Und während sie dem kleinen Gauner folgte, bemerkte sie, dass der offenbar schon ein neues Opfer gefunden hatte. Er folgte betont unauffällig einem anderen jungen Kerl. Der war allerdings kein Tourist, trug weder Tasche noch Rucksack und – so abgerissen, wie er aussah – auch keine 10.000-Forint * -Scheine in seiner Brieftasche mit sich herum. Moment mal! Éva kniff die Augen zusammen. Trotz ihrer 82 Jahre kam sie immer noch ohne Brille aus. »Na, so was«, murmelte sie, als sie auch diesen Typen erkannte. Das war der bleiche, hohlwangige Junge, der sich mit dem Dieb geprügelt, den Rucksack der kleinen Touristin in die Hände gedrückt hatte und mit ihr abgezogen war, Richtung
Vörösmarty tér
.
Wahrscheinlich, dachte Éva grinsend, hatte das Mädchen ihn ins Gerbeaud auf einen Kaffee eingeladen. Sie kicherte und schleppte sich dann weiter. Ob der Dieb sich rächen wollte?
    Wahrscheinlich.
    »Was kostet die Rose, die gelbe da?«, fragte plötzlich eine Touristin auf Deutsch.
    Und als Éva wieder nach dem Dieb schaute, war er verschwunden. Genau wie der andere. Fort, verschluckt vom Sumpf der Budapester Gassen.
    14.20 Uhr, Gellértberg,
    Eingang zum Höhlensystem Molnár János
    Ein letzter Probezug am Lungenautomaten, ein bisschen Spucke in die Taucherbrille. Wie oft hatte Lena das schon gemacht? Zweihundertmal vielleicht? Öfter? Sie wusste es nicht. Und doch hatte sie sich nie so gefühlt wie heute. So merkwürdig gereizt, so fahrig in den Gedanken. Fast hätte sie eben vergessen, den Bleigürtel anzulegen.
    Mach dir nichts vor, dachte Lena, du hast Angst.
    Ja, ja. Ärgerlich auf sich selbst spülte sie ihre Maske aus und setzte sie auf. Stopfte sich die zweite Stufe in den Mund, biss auf die beiden kleinen Gummiknubbel und atmete Pressluft. Formte mit Daumen und Zeigefingern ein O und ließ sich hinabgleiten.
    Thermalwasser hüllte sie ein, warm und klar. Nach ein paar Flossenschlägen kamen Stille und Dunkelheit hinzu. Ich werde ertrinken, dachte sie, hier und heute. Ein Mal hatte ich Glück, aber ein zweites Mal …
    Ha-Hu, lachte ihr metallischer Atem. Luftblasen blubberten an ihrem Gesicht entlang nach oben und fanden sich an der Höhlendecke zusammen. Gefangen. Ich bin gefangen, dachte sie.
    Reiß dich zusammen, befahl Lena sich in Gedanken und zwang sich, den Blick auf ihren Vater zu konzentrieren, der einen Meter vor ihr schwamm und immer wieder zurückblickte. Natürlich hatte er darauf bestanden, beim ersten Tauchgang ihr Buddy zu sein. Keine Panik, ordnete Lena an.
    Aber ihr Körper gehorchte nicht. Im Gegenteil. Immer hektischer ging ihr Atem, immer schneller kicherte das Ha-Hu aus dem Lungenautomaten. Ihr Herz schien so schnell zu trommeln, dass sie die Pausen zwischen den Schlägen gar nicht mehr mitbekam. Ihr Puls raste, ihre Augen waren weit aufgerissen. Ha-Hu, Ha-Hu, HA-HUHHH. Ich bekomme, dachte die Panik, keine Luft mehr. Ich krepier hier, ich muss hier raus.
    RAUS, schrie die Panik und ein Schwall Luftblasen platzte aus ihrem Mund. Von Lena war nicht mehr viel übrig, bis sie plötzlich ein sanftes Schütteln spürte.
    Ihr Vater hielt sie. Seine Augen hinter der Maske verrieten Angst und Sorge. Fragend machte er mit der Hand das Okay-Zeichen. Aber anders als sonst, als all die zweihundert, dreihundert Male zuvor, gab sie nicht die gleiche Antwort.
    Lena streckte ihre Handfläche aus und führte sie an ihre Kehle. Lena signalisierte, und die Panik feuerte sie dabei an, was sie noch nie bei einem Tauchgang angezeigt hatte: Ich bekomme keine Luft mehr.
    14.38 Uhr, Polizeipräsidium
    Diesmal hatte Frenyczek die Neuigkeit selbst aus dem Ticker geholt. Über das Intranet der Budapester Polizei hielt er sich jeden Morgen auf dem Laufenden und forschte nach … Merkwürdigkeiten. Ungewöhnliche Ereignisse, scheinbar sinnlose Dinge. Wie die Explosion in den Budaer Bergen. Wie der merkwürdige Einbruch ins Parlament. Und wie … das

Weitere Kostenlose Bücher