Blutsäufer (German Edition)
schließen und mit ihm durchs Unterholz jagen.
Aber es gibt doch keine Wölfe in deutschen
Wäldern, oder?
Nein, dachte er, in Deutschland gibt es keine
Wölfe. Wölfe sind in Deutschland unerwünscht.
Statt ihrer haben wir Vampire.
Ja, Vampire.
Vampire passen gut nach Deutschland.
14
Bernstein
ging es nicht viel besser als Franz.
Er hatte sich erkältet. Er erkältete sich
oft. Er erkältete sich ständig. Diesmal fing es damit an, dass seine Karre den
Geist aufgegeben hatte und er den Bus nehmen musste. Präzise gesagt: Er musste
in der morgendlichen Kühle auf den Bus warten . Der Bus kam nämlich
nicht. Und Bernstein stand sich in seinen alten Halbschuhen die Beine in den
Bauch. Seine großen Zehe hatten sich in den dünnen Socken ihre Freiheit zurückerobert,
und durch die Sohle des rechten Halbschuhs zog sich ein Riss. Durch den Riss wiederum
sickerte Regenwasser in den Schuh. Ehe Bernstein merkte, dass er mit dem
rechten Halbschuh – ausgerechnet mit dem rechten Halbschuh! – in einer Pfütze
stand, war die Socke schon fast bis hinauf zum Spann durchnässt. Dann fing es
auch noch zu nieseln an! Grimmiger Nieselregen, hohe Luftfeuchtigkeit und ein
böse pfeifender Wind. Alles kam zusammen, wie immer alles zusammen kommt, was
man gerade nicht braucht.
„Scheiße!“, hatte Bernstein laut gedacht – eine
ältere Dame neben ihm, der er genau ins Ohr dachte , hatte sich pikiert
umgedreht – und den Fuß aus der Pfütze gezogen.
Eine halbe Stunde später kam ein Bus. Eine
halbe Stunde später als auf dem Plan ausgewiesen war. War nicht mal sein Bus!
Sein Bus würde auch in der nächsten halben Stunde nicht eintreffen. So war das.
Wenn man Pech hat, hat man Pech.
Unentschlossen war er nach Hause gegangen.
Auf dem Rückweg überlegte er laut, „mit dem Fahrrad?“, ob er mit dem Fahrrad …?
Nee-nee, mit dem Bus war ja schon peinlich genug, aber mit dem Fahrrad? Ein
Privatdetektiv auf einem Fahrrad? Wie hätte das denn ausgesehen? Man stelle
sich einen radelnden Magnum vor bei Nieselregen und böse pfeifendem Gegenwind
und mit flatterndem Hawaiihemd.
Magnum ohne Ferrari?
Bernstein ohne alte Karre?
Nee!
Und mit dem Bus?
Wäre er mit dem Bus gefahren, hätte er noch
ein gutes Stück laufen müssen, weil Busse nie zu unheimlichen alten Häusern in
abgelegenen Straßen fahren. Und er hätte doof dastehen müssen in unmittelbarer
Umgebung dieser Abbruchbude.
Also war er zu Hause geblieben, hatte den
Fernseher eingeschaltet und so lange rumgezappt, bis die Erkältung in seine Bronchien
und Nasenschleimhäute gelangt war. Und war danach ins Bett gegangen, obwohl es
noch früh am Tag gewesen war.
Er nieste und hustete sich in die Nacht und schlang
die Bettdecke um seinen Leib. Telefon und Handy hatte er direkt am Bett. Am
Morgen kam ein Anruf auf seinem Handy. Er hatte kaum geschlafen, als der alte
Hussing wieder Näheres über seine Ermittlungen erfahren wollte. Ob er
vorankäme? Klar! Ob er unterwegs sei in Sachen seines Sohnes? Natürlich! (Wenn
auch in eigenen Sachen, wie er leicht amüsiert in Gedanken – diesmal nicht laut
– für sich anmerkte.)
„Ist nur eine Frage der Zeit“, sagte
Bernstein mit verstopfter Nase. „Werde alles mir Mögliche tun!“ – „Werde Ihnen
Ihren Sohn zurückbringen!“ – „Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Hussing!“ –
„Bin dran, bin an allem dran.“
Mit derartigen Floskeln beruhigte er Hussing,
und Hussing versprach ihm einen weiteren Extrahunderter. Hatte der überhaupt
schon den vereinbarten Vorschuss gezahlt? Musste er mal nachschauen, sein
Laptop stand schließlich gleich neben dem Bett. Den hatte er unmittelbar nach
der nicht stattgefundenen Busfahrt dort hingestellt.
Bernstein war müde, seine Nase tropfte, sein
Fieberthermometer zeigte neununddreißig fünf und sein Passwort fürs
Onlinebanking bestand aus zweimal vielen Zahlen, eine oben, eine unten
einzugeben. Nach dem zweiten Versuch war er drin und rief die Umsätze der
vergangenen dreißig Tage auf. Oder vielmehr die Abgänge der vergangenen dreißig
Tage.
Denn an Zugängen war nichts gebucht, rein gar
nichts war gebucht. Kein erster Extrahunderter und kein Vorschuss. Dass der
zweite Extrahunderter noch nicht drauf sein konnte, weil er eben erst am Handy
versprochen worden war – okay, das wurde von ihm eingesehen, das verstand er. Selbst
wenn Hussing ihn sofort online angewiesen hätte. Von der schnellen neuen Welt,
in der E-Mails innerhalb von Sekunden ihre Empfänger
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