Blutsauger
spielen in einer global vernetzten Welt keine Rolle mehr, Herr Häberle«, empörte sich Humstett.
»Da stimme ich Ihnen voll zu. Beim Planen spielt das keine Rolle. Aber einen Fluchtweg sollte man sich immer offen halten. Eine alte Weisheit der Kriminalisten. Genau wie’s den Täter immer wieder zum Tatort zurückzieht.«
Humstett verzog keine Miene. Er verstand sehr wohl, dass es eine Anspielung auf das Geschehen in der vergangenen Nacht war.
Der Leichenfund in den Dünen Maspalomas hatte sich nicht nur unter den Touristen, sondern auch unter den Einheimischen bis zur Mittagszeit wie ein Lauffeuer verbreitet. Schon machte sich bei den Hotel-Managern die Sorge breit, ein solches Verbrechen an einem der beliebtesten Orte im Süden der Insel könnte Auswirkungen auf den Tourismus haben. Immerhin galten die Dünen als sicher. Wenn dort ein Mörder sein Unwesen trieb, konnte sich dies schlagartig ändern. In den Mittagsnachrichten berichteten die lokalen Radiosender über das Tötungsdelikt, ohne jedoch Hintergründe nennen zu können. Allerdings war über die Identität des Toten so viel bekannt geworden, dass es sich um einen Deutschen handle, der im RIU Palace Maspalomas gewohnt habe.
Sogar Harald Maronn hatte die Neuigkeit vernommen und sofort versucht, Brugger telefonisch zu erreichen. Doch auf dem Handy, das bei einem spanischen Provider angemeldet war, hatte sich bei seinen inzwischen sechs Versuchen immer nur die Mailbox gemeldet. Aber in diesem Augenblick wurde das Gespräch sofort angenommen. Eine Männerstimme sagte etwas auf Spanisch, was Maronn nicht verstand, obwohl er dieser Sprache durchaus mächtig war.
»Wer ist da?«, fragte er nervös und auf Deutsch zurück.
Wieder unverständliches Spanisch, dann eine kurze Pause, nach der sich eine andere Stimme mit starkem Akzent meldete: »Wen wollen Sie spreche?«
Maronn war verunsichert. »Ich hätte gern Herrn Brugger gesprochen.«
»Señor Brugger«, kam es zurück. »Entschuldigen Sie, das ist nicht möglich.«
»Darf ich fragen, wer Sie sind?« Maronns Puls begann zu rasen. Wenn sich an Bruggers Handy ein Spanier meldete, konnte dies nichts Gutes bedeuten.
»Polizei«, informierte der andere leise. »Bitte nenne Sie uns Ihre Namen und Ihre Adresse.«
Maronn zögerte. Es war ihm, als sei ihm soeben der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Kerstin und Linkohr hatten sich in ein kleines Büro zurückgezogen. »Weder dieser Brugger noch seine Frau melden sich«, stellte die junge Polizistin seufzend fest.
»Auf Bruggers Handy meldet sich schon seit gestern die Mailbox – und auf dem Festnetzanschluss bei seiner Frau geht keiner ran.«
»Es soll Leute geben, die sich im Ausland eine Telefonkarte von einem dortigen Provider kaufen, um innerhalb des Landes billiger telefonieren zu können. Vielleicht hat Brugger das getan.«
»Geistreich wär’s nicht unbedingt«, meinte Kerstin. »Somit wäre er von hier aus nicht zu erreichen – zumindest, wenn keiner seine dortige Nummer kennt.«
Linkohr drehte sich zu Kerstin und sah ihr in die großen Augen. »Vielleicht ist das so gewollt. Könnte ja sein, oder?«
»Um ehrlich zu sein, Mike, diese ganze Technik macht doch alles sehr unübersichtlich. Wenn ich mir so anhöre, was sie uns an der Hochschule erzählen – mit Datenschutz und all dem Zeug. Uns zwingt der Gesetzgeber in ein enges Korsett und die Gegenseite nutzt die technischen Möglichkeiten, die uns verwehrt bleiben, schamlos aus.«
»Genauso ist es, Kerstin. Wie sagt Häberle immer? Was vor 20 Jahren an technischem Krimskrams in James-Bond-Filmen gezeigt wurde, ist heute längst überholt. Du kannst inzwischen mit winzigsten elektronischen Gerätschaften alles überwachen, abhören und ausspionieren, was du willst.« Er schaute wieder auf seinen Monitor. »Aber lassen wir das. Ich hab hier etwas Spannendes von unseren Schweizer Kollegen gekriegt.«
»Lass mal hören!« Kerstin rollte sitzend mit ihrem Schreibtischstuhl zu ihm herüber. Er spürte ihren Atem und genoss die entstandene Nähe.
»Die Kollegen im Wallis, in Brig, haben die Adresse gecheckt, die wir in Fallheimers Unterlagen gefunden haben. Es sei eine Anlage mit saisonal bewohnten Ferienwohnungen, schreiben sie.« Er strich mit dem Mauszeiger über den Text der Mail. »Eine Frau namens von Willersbach ist laut Hausverwalter nicht als Wohnungseignerin eingetragen. Aber, und jetzt kommt’s …« Linkohr berührte mit seinem rechten Oberarm Kerstins linke
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