Blutsauger
Wissenschaft, die die bestehenden Grenzen ignorierte, die sich weder von Demokratien noch von Diktaturen eindämmen ließ, die aber jederzeit missbraucht und in die Hände von Kriminellen und Terroristen geraten konnte. »Es tun sich also freie Wissenschaftler leichter«, konstatierte er nach kurzer Pause. »Aber ohne Geldgeber, so vermute ich mal, werden auch Sie nicht auskommen.«
»Wir kommen zurecht. Sie haben aber Geldgeber gefunden.«
»Ich würde es anders bezeichnen«, erklärte Humstett. »Ein paar Investoren, die sich von gewissen Dingen das große Geld versprechen, haben jemanden gefunden, der sein Know-how einbringen kann.«
»Also Sie«, stellte der Ermittler fest. »Und ich gehe sicher recht in der Annahme, dass es sich bei einem der Investoren um diesen Maronn handelt. Wie ist dieses Zusammentreffen vonstatten gegangen?«
»Bei einem Fachkongress in Mailand. Es hat sich so ergeben. Nichts Außergewöhnliches. Bei solchen Kongressen treffen sich Kapazitäten der ganzen Welt. Auch Investoren. Das ist auf dem medizinischen Sektor nicht anders als in der Wirtschaft. Überall gibt es Menschen, die entweder für sich oder für andere Möglichkeiten zwecks Geldvermehrung suchen.«
»Und so sind Sie an Herrn Maronn geraten?«
»So ungefähr. Bis wir uns auf ein Projekt geeinigt haben, hat’s natürlich noch einige Monate gedauert. Herr Maronn hat damals bereits ein Labor auf dem spanischen Festland betrieben – und war gerade dabei, es nach Gran Canaria zu verlegen.«
»Es geht um Genforschung, wie Sie gestern Abend kurz anklingen ließen«, wollte es Häberle nun genau wissen.
»Genforschung im weitesten Sinne des Wortes. Dies zu erläutern, würde den Rahmen unseres Gesprächs sprengen. Aber Sie brauchen sich nur zu überlegen, womit man künftig sehr viel Geld verdienen könnte.« Er zögerte. »Geld verdienen mit Geld, das man … ja, sagen wir’s ruhig, das manche Kreise lieber vermehren, als es dem Finanzamt zu überlassen.«
Häberle wusste diese Bemerkung sehr wohl zu interpretieren, wollte sich jedoch auf die medizinische Seite beschränken und das Ziel der Forschung erläutert bekommen.
»Denken Sie nur an Blut«, fuhr Humstett fort. »Welch gigantischer Aufwand muss immer noch betrieben werden, um genügend Blutspender zu finden – beziehungsweise, genügend Blut vorrätig zu haben. Wenn es gelänge, es künstlich für jede Blutgruppe zu produzieren, wäre dies ein unglaublicher Fortschritt. Oder denken Sie an das Herstellen von Organen. Die Vorstellung, jedes Organ irgendwo vorrätig zu haben, wie in einer Kfz-Werkstatt die Teile für ein Auto, das lockt Leute, die auf hohe Renditen setzen.«
Häberle überlegte, wie weit er gehen sollte. Doch das Thema erschien ihm interessant. »Oder man produziert ein künstliches Lebewesen.«
»Davon träumen viele. Ich weiß nicht, ob Sie jemals etwas von dem US-Forscher Craig Venter gehört haben.«
Häberle schüttelte den Kopf.
»Er hat die erste synthetische Zelle geschaffen. Aber kein wirklich künstliches Leben. Das am Computer entwickelte DNA-Erbgutmolekül hat er in Bakterien transplantiert, wo es die Kontrolle über sie übernommen hat. Das mag ein Meilenstein in der Forschung sein, aber kein künstliches Leben.«
»Das müssen Sie mir näher erklären. Er hat also nicht aus toter Masse Leben geschaffen?«
»Dann wäre er wohl so etwas wie der liebe Gott – wenngleich natürlich auch die tote Masse von irgendwo herkommen müsste. Nein, Herr Häberle, dazu müsste es gelingen, aus Molekülen etwas Lebendiges entstehen zu lassen. Dieser Venter, mag er noch so laut tönen, hat als Ausgangspunkt eine lebende Zelle benutzt.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe«, konstatierte Häberle, »dann hat man zwar nichts Neues geschaffen, aber zumindest aus dem Bestehenden neue Lebensformen gebastelt.«
»So etwa, ja, man mixt sozusagen aus Bestehendem etwas zusammen. Siehe genveränderte Pflanzen.«
»Und greift damit in die Schöpfung ein, ohne die Folgen zu kennen«, stellte der Chefermittler vorwurfsvoll fest.
»Da will ich Ihnen gar nicht widersprechen. Solche neue Formen können natürlich mutieren und sich in anderen Organismen festsetzen.«
»Oder man entwickelt ganz bewusst Killerbakterien.«
Humstett zuckte schweigend mit den Schultern.
»Ihr Ziel war allerdings ein anderes?«, hakte Häberle provokativ nach.
»Killerbakterien?«, Humstett zeigte sich verärgert. »Ich bitte Sie, Herr Häberle. Mir persönlich geht es um den
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