Blutsauger
überlegte, ob ihm in den vergangenen Stunden etwas entgangen war, gelangte jedoch zu der Überzeugung, dass Kerstin geschickt bluffte. Wahrscheinlich hatte sie erst kürzlich eine Vorlesung zur Vernehmungstaktik besucht.
Doch die Frau, so schien es ihm, wurde immer kühler. »Sie werden verstehen, dass ich mich ohne meinen Mann dazu nicht äußere. Tut mir leid. Und sollte dies ein Verhör sein, bitte ich, einen Anwalt hinzuziehen zu dürfen.«
Linkohr und Kerstin hatten mit dieser Reaktion nicht gerechnet. »Entschuldigen Sie«, versuchte Linkohr einzulenken, »aber Sie würden uns sehr helfen, wenn Sie …«
»Dann rufen Sie meinen Mann an«, unterbrach sie ihn energisch. »Sie haben seine Handynummer. Er wird Ihnen sagen, was es zu sagen gibt. Bitte halten Sie mich heraus. Vielleicht sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich eine Professur an der Universität in Ulm innehabe.«
Schlagartig musste Linkohr an sein großes Vorbild Häberle denken, der ihm einmal geraten hatte, sich von versteckten Drohungen vermeintlich hoher Amtsträger niemals beeindrucken zu lassen. Mit dieser Masche versuchten es meist jene Personen, die im Dunstkreis der jeweils regierenden Koalitionsparteien hochgespült worden waren – in der Hoffnung, die Partei werde es im Hintergrund schon wieder irgendwie hinbügeln. Insoweit, da war Linkohr längst auch Häberles Meinung, unterschied sich Deutschland in nichts mehr von Verhältnissen, die man früher eher in Südamerika oder in anderen Bananenrepubliken für möglich gehalten hatte.
Kerstin warf Linkohr einen Blick zu und holte ihn wieder aus seinen Gedanken zurück. Dann tat sie etwas, womit er nicht gerechnet hätte. »Entschuldigen Sie, Frau Brugger, aber kann ich mal zur Toilette?«
Die Angesprochene war offenbar genauso über die abrupte Unterbrechung des Gesprächs verwundert wie Linkohr. »Geradeaus, links«, wies sie den Weg, worauf Kerstin aus dem Raum ging und die Tür hinter sich einrasten ließ.
Linkohr wusste das Verhalten seiner Kollegin nicht zu deuten.
33
»Unser Freund Elmar macht sich in die Hose«, ärgerte sich zur gleichen Zeit auf Gran Canaria Harald Maronn, während er einige Lichtpunkte verfolgte, die weit draußen auf dem Meer vorbeizogen. »Ein Schisshase«, fügte er an und widmete sich wieder seinen Gästen, die seine Ausführungen schweigend verfolgt hatten.
Friedrich Hoyler und Edgar Fiedler, die ihm gegenübersaßen und ihren Cocktail beinahe ausgetrunken hatten, schwitzten – nicht nur der ungewöhnlichen Hitze wegen.
»Er hat aber keinen Anruf gekriegt?«, vergewisserte sich Fiedler, ein kleiner, behäbiger Mann mittleren Alters, der sein Geld in der Tourismusbranche gemacht hatte.
»Zumindest bestreitet er dies, ja«, bestätigte Maronn und trotzte der ernsten Lage mit einem breiten Grinsen. »Aber die Lust am Abenteuer ist ihm gründlich vergangen.«
»Dir muss klar sein …«, appellierte Hoyler, dessen schlanke und sportliche Statur in Verbindung mit dem Stoppelhaar-Kopf an die Manager heutiger Tage erinnerte, »… dass Edgar und ich mit all diesen Geschichten, die bei euch laufen, nichts zu tun haben wollen.«
»Keine Frage«, gab sich Maronn loyal und hob beide Hände, als wolle er dies mit einer Geste bekräftigen. »Wir werden uns auch nicht auseinanderdividieren lassen. Und hier unten kann uns sowieso keiner an den Karren fahren.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Jedenfalls weiß diese Dame, die da angerufen hat, ziemlich genau, wo sie uns erreichen kann.«
Hosenscheißer, dachte Maronn. Was war das für ein Kleingeist, der sich von einem einzigen Anruf irritieren ließ. Dort, wo es um viel Geld ging, musste man mit solchen Attacken rechnen.
»Du hast natürlich leicht reden«, ergänzte Hoyler, der sich als Stuttgarter Immobilienhändler auf kanarische Objekte spezialisiert hatte, »du hockst hier in der Sonne und wir müssen wieder zurück.«
»Es hindert euch niemand, ein paar Tage länger hierzubleiben. Oder hast du, Friedrich, gerade nichts Passendes hier, um dich niederzulassen?«
Fiedler grummelte dazwischen: »Mensch, Harry, red doch nicht daher.« Er war im Grunde seines Herzens nie so recht von dem gemeinsamen Vorhaben überzeugt gewesen. Letztlich hatte ihm sein alter Freund Harald Maronn die Investition schmackhaft gemacht. Besonders geschmeichelt fühlte sich Fiedler, dass er sich auf diese Weise im Umfeld von Ärzten sonnen konnte, was seinem angeschlagenen Selbstwertgefühl entsprang. Daheim im
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