Blutsauger
Stirnseite des Zimmers hingen drei abstrakte Gemälde, die wie in einer Galerie an feinen Metalldrähten befestigt waren. Leicht austauschbar, dachte Kerstin. Eine geniale Idee, dann brauchten nicht jedes Mal neue Nägel in die Wand geschlagen zu werden.
»Vielleicht können Sie uns weiterhelfen«, kam Linkohr zur Sache. »Frau Fallheimer hat uns berichtet, dass es da wohl eine Forschungsgesellschaft gibt, über die Sie möglicherweise mehr wüssten …«
»Forschungsgesellschaft«, wiederholte Frau Brugger, »ist das nicht ein bisschen weit gegriffen? Da basteln ein paar Ärzte an einer Sache rum und glauben, damit den Nobelpreis zu kriegen.«
Linkohr zögerte. Der Frau war nicht anzumerken, ob sie ihre Bemerkung ernst gemeint hatte oder ob es eine ironische Feststellung war. »Darf man erfahren, was das genau ist?«
»Mal ganz langsam«, stoppte sie den plötzlich aufkommenden Tatendrang des Jungkriminalisten. »Geht’s jetzt um Ermittlungen wegen irgendwelcher illegaler Forschung – oder um eine Unfallflucht mit Todesfolge?«
Kerstin fühlte sich gefordert. »Momentan geht’s um den Versuch, bestätigt zu bekommen, dass Herr Fallheimer tatsächlich an den Folgen des Unfalls verstorben ist.«
»Und woran, bittschön, soll er denn sonst gestorben sein?«
»Wir haben keinerlei Grund anzunehmen, dass es etwas anderes war«, beruhigte Kerstin. »Aber Sie können sich denken, dass angesichts zweier Todesfälle in derselben Nacht nichts ungeklärt im Raum stehen bleiben darf.« Kaum hatte sie es gesagt, fragte sie sich, ob Frau Brugger von Anjas Tod wissen konnte. Den Medien war nichts davon mitgeteilt worden, weil bei ihr weder ein Unfall noch ein Fremdverschulden vorlag. Allerdings bestand natürlich die Möglichkeit, dass sie im Laufe des Tages von Bekannten ihres Mannes aus der Klinik angerufen worden war – oder in den vergangenen 20 Minuten, während sie auf der Fahrt waren, von Frau Fallheimer.
Doch nichts davon schien zuzutreffen. Brunhilde Brugger sah ihre Besucher nacheinander irritiert an. »Zwei Todesfälle?«, fragte sie schließlich ungläubig und schluckte. »Sagten Sie zwei?«
»Zwei, ja«, wiederholte Kerstin und bemerkte, wie der Körper der Frau unterm hochgeschlossenen Pullover leicht zu beben begann.
»Und wer ist der andere?«
»Eine Frau. Röntgenassistentin«, informierte Kerstin so einfühlsam wie nur möglich. »Anja Kastel.«
Frau Brugger bedeckte mit den flachen Händen ihren Mund und schwieg.
»Sie kennen Frau Kastel?«, fragte Linkohr ein paar Sekunden zu früh, wie Kerstin dachte.
Frau Brugger nickte stumm. Dann nahm sie wieder die Hände vom Mund und legte die Arme auf die gepolsterte Lehne. »Anja kennen viele.«
»Viele? Also war sie beliebt?«
»Beliebt – bei den Männern, ja. Beliebt und so kommunikativ.«
Kerstin verstand, was sich hinter dieser Bemerkung verbarg. Anja war wohl geschwätzig und über vieles informiert, was man unter Klatsch und Tratsch verstand.
»Kommunikativ«, wiederholte Kerstin wie zur Bekräftigung. »Sie haben sie also gekannt?«
»Ja, natürlich. Das ist nichts Besonderes, gar nichts. Es gibt Feste, an denen die Angehörigen von Ärzten und Krankenschwestern teilnehmen dürfen.«
»Unsere Fragen beziehen sich nicht auf Frau Kastel.«
Kerstin schaltete sich ein: »Und auch nicht auf das, woran Ihr Mann und Herr Fallheimer geforscht haben – und ob das legal oder illegal war.«
»Wir wären nur daran interessiert zu erfahren, wer zu dieser Gruppe gehört«, ergänzte Linkohr.
Frau Brugger strich sich über die Haare, als wolle sie deren korrekten Sitz prüfen. »Vermuten Sie ein Komplott?«, fragte sie wieder kühl.
»Wir vermuten gar nichts. Uns wäre sehr viel daran gelegen, das gesamte Umfeld des Herrn Fallheimer aufarbeiten zu können. Nicht mehr und nicht weniger. Deshalb sind wir gekommen – um Sie zu bitten, uns dabei zu helfen.«
»Die Gruppe, wie Sie das beschreiben, gibt es so nicht.« Frau Brugger spürte, wie ihre Kopfschmerzen wieder zunahmen. »Das sind Forscher, Wissenschaftler, freie Tüftler, wenn man so sagen will. Alles Leute, die damit nicht in die Öffentlichkeit treten wollen. Deshalb bin auch ich nicht informiert, tut mir leid. Aber wenn Ihnen jemand weiterhelfen kann, dann mein Mann. Duldet das denn keinen Aufschub?«
»Wer forscht, braucht ein Labor. Wir haben Grund zu der Annahme, dass es so etwas gibt, möglicherweise ganz in der Nähe.« Sie sprach die Worte langsam und betont aus.
Linkohr
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