Blutsauger
nur abwesend.
»Er will sich jedenfalls hier mit irgendeinem Spanier treffen, der ihn über den Tisch gezogen hat«, fuhr Maronn fort.
Hoyler grinste. »Da wünsch ich ihm von hier aus schon mal viel Erfolg.«
»Hat er dich denn nicht um Hilfe gebeten?«, staunte Maronn.
»Keinen Ton hat er gesagt. Nicht einen. Aber ich will mich da auch nicht einmischen.«
»Vielleicht will er auch Fallheimers Tochter Lena treffen, die in Spanien studiert.«
»Wenn er sich da nur mal nicht die Finger verbrennt«, kommentierte Fiedler plötzlich, als habe er den Inhalt des Gesprächs verfolgt. »Man darf keine Schwäche zeigen, sondern muss immer Herr der Lage sein.«
Hoyler konnte sich eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen: »So wie du in deinem Betrieb, stimmt’s?«
34
Kerstin war zwar zur Toilette gegangen und hatte dort hörbar kurz die Tür geöffnet, doch sie wollte das Zeitfenster, das sie sich geschaffen hatte, anderweitig nutzen. Sie hoffte inständig, dass Linkohr wusste, was nun zu tun war – nämlich die Dame des Hauses hinzuhalten und abzulenken. Natürlich würde das, was sie jetzt tat, nicht ganz gesetzeskonform sein, aber im Interesse der Sache wollte sie es verantworten. Dass sie damit ihre gesamte Karriere gefährden konnte, daran dachte sie in der Euphorie des Ermittelns nicht. Sie öffnete eine der Türen, die von der Diele abgingen, so vorsichtig sie nur konnte und blickte im Schein des hineinfallenden Lichtes in eine geräumige Küche, in der die Fronten der Schubfächer und Schränke in bläulichem Dunkelgrau gehalten waren. Es gab, soweit sie dies überblicken konnte, kein schmutziges Geschirr und auch sonst keine unordentlich herumstehenden Gegenstände. Nichts, woraus man kriminalistische Schlüsse ziehen konnte. Die junge Polizistin schloss die Tür wieder lautlos und ging zur nächsten. Sie öffnete sie zaghaft und verharrte. Denn bereits durch den schmalen Schlitz, der sich zwischen Tür und Rahmen auftat, fiel ein matter Lichtschein. Kerstin zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, war sich jedoch im Klaren, dass es kein Zurück mehr geben konnte. Sie öffnete die Tür vollends und war innerlich aufs Schlimmste gewappnet. Doch die befürchtete Attacke blieb aus. In ihrem Blickwinkel saß eine Frau, zusammengekauert und ängstlich von irgendwelchen Prospekten aufblickend, in denen sie im Schein einer Stehlampe offenbar geblättert hatte.
Kerstin ließ die Tür angelehnt und lächelte freundlich. »Entschuldigen Sie«, sagte sie mit gedämpfter Stimme und zog ihren Dienstausweis aus der Hosentasche. »Kriminalpolizei«, verlieh sie dem Dokument zusätzlichen Nachdruck. »Darf ich fragen, wer Sie sind?« Kerstin wollte keine Zeit verlieren. Länger als fünf Minuten konnte sie nicht fehlen.
»Muss ich das?«, fragte die Angesprochene irritiert zurück und schlug die Broschüre zu, in der sie geblättert hatte. Kerstin erkannte an der blauen Farbe des Titels, dass es ein Prospekt des Reiseveranstalters TUI war. Auf dem Tisch lagen Faltblätter, auf denen ein Fährschiff mit der Aufschrift ›Fred Olsen‹ abgebildet war.
Kerstin rang nach logischen Formulierungen, mit denen sie hektisch ihr plötzliches Auftauchen erklären und ihre Fragen begründen konnte. »Frau Bruggers Mann ist eventuell in Gefahr«, fiel ihr schlagartig als Argument ein, »wegen einer Sache in der Klinik.« Dann wurde Kerstin eindringlich: »Bitte sagen Sie mir, wer Sie sind und weshalb Sie sich hier aufhalten. Bitte. Es ist wichtig. Ganz wichtig. Wer sind Sie?«
»Ich bin …« Die Angesprochene zögerte. »Ich … ich bin vorhin erst gekommen. Frau Brugger hat gesagt, sie kriegt Besuch und ich solle hier warten. Sind Sie der Besuch? Die Kriminalpolizei?«
Kerstin drängte auf Eile, nickte und fragte: »Weshalb sind Sie hier?«
»Ich war doch schon …« Wieder ein kurzes Überlegen. Sie blickte zu der vor ihr stehenden Polizistin. »Bei Ihrem Herrn Schmittke war ich. Gestern. Schmittke, so heißt er doch, der Chef, oder?«
Kerstin vermochte in der Hektik, die sie immer stärker in sich aufsteigen spürte, die Zusammenhänge nicht nachzuvollziehen. Jedenfalls erübrigte sich offenbar die Frage nach dem Namen dieser Frau, die sie auf Mitte bis Ende 40 schätzte. Kerstin prägte sich das Gesicht ein und entschied, die Sache abzubrechen. »Dann hat es sich erledigt. Entschuldigen Sie. Aber eine dringende Bitte, dienstlich: Wir haben uns hier nie getroffen. Kein Wort. Zu niemandem. Streng geheim. Kein Wort zu
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