Blutsbrüder
Joints von Harun und seinen Freunden.
»Er hätte«, sagt Jan-Niklas, »erst mit dem Jungen, mit Ömer reden sollen. Erst reden«, wiederholt er, während er vor Darius und Alina auf und ab läuft und während Simon, unbeachtet wie meist, bekräftigend nickt.
»Das glaube ich nicht«, sagt Darius.
Vor sich meint er Harun zu sehen, wie er Jan-Niklas und Simon ausgiebig gemustert hätte: Trotz der vom Haschisch geröteten Augen wäre in seinem Blick eine Klarheit, eine Schärfe, die ihren Grund in einem Wissen hat, von dem Jan-Nikla s – aber nicht allein e r – ausgeschlossen ist.
»Ich auch nicht.«
Alina schaut nachdenklich hinüber zu den Schwänen auf dem nächtlichen Kanal, große, bleiche Schemen auf dem dunklen Wasser.
» Du redest, weil du reden kannst. Hier wird weniger geredet, hier funktioniert das anders.«
Sie zögert.
»Ohne Worte. Und weißt du, ich glaube«, sie zögert erneut, »manchmal ist es besser, weniger zu sagen oder gar nichts.«
»Wieso?«, fragt Jan-Niklas, ungläubig, dass sie so etwas behaupten kann.
Schroff fügt Alina hinzu: »Wenn die Dinge klar sind, muss man handeln.«
Sie wendet sich ab. Niemand erwidert etwas. Nur Darius sagt leise: »Kommt, lasst uns wieder reingehn und nach Cora sehn.«
***
Eingeladen, um mit Jan-Niklas ein Referat und eine Präsentation vorzubereiten, betritt Darius dessen Wohnung am frühen Nachmittag.
Er ist noch nie hier gewesen. Wegen Alina hat er es vermieden, Jan-Niklas zu besuchen. Alina, die wie Tomtom in einem Neubauviertel wohnt, in dem die meisten Familien türkisch sind oder arabisc h – und seltener polnisch, wie sie selbst.
Aufgrund des Referats, zu dem sie vom Chemielehrer eingeteilt worden sind, muss er sich mit Jan-Niklas treffen. Zugleich ist er froh über die Gelegenheit. Und besser als bei meinem Vater, denkt Darius erleichtert, ist es hier allemal.
Schon vor der Haustür beeindrucken ihn die Namensschilder und Klingelknöpfe aus poliertem Messing. Im Foyer verblüffen ihn die großen Spiegel links und rechts an der Wand und das Fehlen jeglicher Tags . Im Treppenhaus schüchtern ihn die Sisalläufer auf den Treppenstufen ein. Als er die Diele der Dachgeschosswohnung betritt, wundert er sich nicht mehr über deren Größe.
Aber es ist nicht allein die geräumige Wohnung, keinen Kilometer von der Wohnung seines Vaters entfernt, auch nicht die beiläufige Bemerkung von Jan-Niklas’ Mutter, in München, auch in London, habe ma n – »natürlich! « – im eigenen Haus gewohnt, weshalb sich Darius fremd und unbehaglich fühlt. Eher ist es die Bereitschaft des Vaters von Jan-Niklas, sich zu ihnen zu setzen und ihnen das Thema, organische Chemie, nach kurzem Einlesen in den Stoff wie selbstverständlich zu erklären. Die Grundlagen für die Präsentation, die ersten Stichpunkte fürs Referat entstehen wie nebenbei. Und als der Vater sich erhebt, um zurück ins Büro zu gehen, zu einem späten Meeting , ist der wichtigere Teil der Arbeit abgeschlossen.
»Vergiss nicht«, sagt er, als er Jan-Niklas’ Zimmer verlässt und dabei seinem Sohn die Hand kurz auf die Schulter legt, »morgen gehn wir beide ins Theater.«
Darius denkt an den eigenen Vater und weiß, dass es ihm schwerfallen wird, noch einmal hierherzukomme n – dass er es, trotz Jan-Niklas, gar nicht möchte.
Und dann denkt er: Ist auch egal. Morgen, spätestens übermorgen geh ich mich vorstellen.
Seine Unruhe wegen des Zimmers hat sich gelegt, er hat jetzt endlich jemanden in der WG erreicht. Waren alle verreist. Deshalb hat niemand abgenommen. Aber in vierzehn Tagen ist er sein eigener Herr. Auch ohne Messingschilder und Teppiche im Treppenhaus. Mit einem Zimmer, das ihm allein gehört. Und dann, denkt Darius, lad ich Jan-Niklas und alle zu mir ein.
Nachdem sie die Folien vorbereitet und die Stichpunkte noch mal überarbeitet haben, bleibt ihnen Zeit bis zum Treffen der Gruppe, das ebenfalls bei Jan-Niklas stattfinden sol l – wegen der Zwischenfälle im Freibad und bei der Geburtstagsparty.
Während Jan-Niklas Tee kocht und in der Küche nach Keksen sucht, fühlt sich Darius plötzlich beklommen. Obwohl ich, denkt er, doch froh gewesen bin, als mich Jan-Niklas eingeladen hat.
Er schaut sich in dem großen, hellen Dachzimmer um, mustert die teure Musikanlage, das Keyboard mit Verstärker, studiert die Bilder an den Wänden, leicht verfremdete Fotos, Straßenszenen am Abend.
Er taxiert die gesamte Einrichtung und überlegt, ob er seine eigenen Möbel, die alt
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