Blutsbrüder
sind und lange benutzt, überhaupt als »Einrichtung« bezeichnen würde. Bilder besitzt er keine. Nur ein Poster von einem Karatefilm aus den Siebzigerjahren mit Bruce Lee.
Als Jan-Niklas mit dem Tee und den Keksen zurückkommt und sich an den kleinen Tisch in einer Couchecke setzt, schweigt Darius und betrachtet seine Füße, die in einem hellen, beinahe weißen Teppich versinken. Leider nicht völlig, die Löcher in seinen grauen Socken sind nach wie vor zu sehen.
Jan-Niklas schenkt Tee ein, rückt die Schale mit dem Gebäck näher an Darius heran und sagt schließlich leise: »Ich bin damals zu heftig gewesen mit meiner Kritik an dir. Das wollte ich dir noch sagen. Ich hoffe, du kannst das entschuldigen. Und ich fand es übrigens mutig, wie du von deinem komischen Gefühl, dem Schachbrettblick, geredet hast. Das wollte ich auch noch sagen.«
Es klingt ein bisschen steif, wie Jan-Niklas die Worte einzeln aneinanderfügt, Darius dabei nicht anblickt und in seiner Teetasse rührt.
»Schon okay.«
Zu seinem Erstaunen ist Darius nicht nur erleichtert, sondern beinahe glücklich. Wieder fühlt er sich Jan-Niklas verbunden, auch, weil er im selben Moment an Hakan und Alina denkt.
Nach ein, zwei Schlucken Tee und einigen Keksen fügt Jan-Niklas fast ebenso leise wie vorher hinzu: »Und, siehst du, ehe die anderen kommen, wollte ich dir noch was Dritte s – weiß nich’, wie ich’s sagen sol l – erklären.«
Danach beginnt er darüber zu reden, wie sehr er Darius’ Kaltblütigkeit, seine Fähigkeit zu handeln, eigentlich bewundere. Und wie wenig es ihm dennoch möglich sei, sich ähnlich zu verhalten.
»Einerseits«, sagt Jan-Niklas, »komme ich mir schwach vor, oft auch feige. Andererseits weiß ich, aber das ist bloß mein Kopf, dass ich Gewalt fast immer für den falschen Weg halte. Auch jetzt. Und trotzdem bin ich mir nie sicher, ob ich nicht nur Angst habe.«
Er zögert. Trinkt Tee. Sieht Darius an. »Bei dir ist das anders, oder?«
Zu verblüfft, um sofort antworten zu können, beugt sich Darius über seinen Teller, um die Kekskrümel nicht auf den Teppich fallen und darin verschwinden zu lassen. Er kann sich nicht vorstellen, wie ich lebe! Er weiß nichts von meinem Vater und der Zeit auf dem Bolzplatz, als ich klein war.
Doch bevor er etwas erwidern kann, hören sie die Klingel und der stille, vertraute Moment zwischen ihnen geht vorbei.
Jan-Niklas erhebt sich widerwillig aus seinem Sessel, um den anderen die Wohnungstür zu öffnen.
Alle sind erschienen. Zuerst betritt Tomtom das Zimmer, nach ihm Cora, dann Marvin, anschließend Simo n – ähnlich befangen wie ich, denkt Darius. Alina hält sich dicht bei Hakan, der Darius kurz zulächelt. Als Jan-Niklas mit neuem Tee aus der Küche kommt, sagt Hakan: »Na gut, dann fangen wir mal an.«
Ehe sich jemand zu Wort meldet, eine einführende Bemerkung macht, die Vorfälle im Freibad und vor allem bei der Party noch einmal zusammenfasst, stößt sich Tomtom, der sich nicht hingesetzt, sondern neben der Zimmertür angelehnt hat, von der Wand ab. Wie üblich hängen seine Schnürbänder seitlich an den Schuhen herunter und wie meist trägt er die abgeschnittene Militärhose.
»Ich weiß, Hakan, nach der Sache im Freibad und bei der Party fühlst du dich bestätigt. Du willst deinen Vorschlag wiederholen. Aber ich sag’s gleich: Ich halte nichts davon.«
Danach bückt er sich und bindet seine Schuhe. Kaum hat er sich aufgerichtet, lösen sich die Senkel und hängen wieder an den Seiten herunter.
Nach einer Pause, in der niemand spricht, entgegnet Hakan, und er setzt seine Worte langsam und mit Bedacht: »Wenn die, ich meine, die Türken und die Araber, nicht was gegen ihre eigenen Arschlöcher tun, dann müssen wir das vielleicht machen. Denn das betrifft unseren Bezirk. Und als Antifa haben wir ja auch was gegen unsere, gegen die deutschen Ärsche gemacht, oder?«
Ungläubig fragt Simon: »Gegen alle Türken?«
»Natürlich nicht«, sagt Hakan, »nur die, die sich benehmen wie, na ja, wie Rassisten. Wie Nazis.«
Die Stille im Raum scheint zu wachsen und einen Moment meint Darius, gleich schnüre sie ihnen die Luft ab.
Er staunt über den Freund und ist zugleich erschrocken. Vielleicht darf nur er, denkt Darius, so etwas äußern. Vielleicht aber auch nicht.
»Nein«, sagt Tomtom schließlich. »Nein, auf keinen Fall. Wir wären dann selber Nazis. Wir wären dann wie die.«
Wieder bückt er sich nach seinen Schuhen und bindet sie so
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