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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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nachlässig, dass sie sich sofort wieder öffnen werden.
    »Klettverschlüsse«, sagt Darius. Doch er sagt es so leise, dass weder Tomtom noch sonst jemand ihn hört.
    »Wieso«, erwidert Hakan nach einiger Zeit, in der das Schweigen in dem sonnendurchfluteten Zimmer noch einmal größer und lastender wird, »wieso«, wiederholt er und Darius hört den Trotz in der Stimme des Freundes, »wieso bin ich ein Nazi, wenn ich auf etwas hinweise, wovon jeder weiß?«
    »Weil du«, Tomtom betrachtet seine Schnürbänder, ohne sich erneut zu bücken, »weil du als Deutscher, und so hast du dich eben bezeichnet, eine besondere historische Verantwortung hast. Und ich denke, das weißt du genau.«
    Wieder entsteht eine Pause, die alle unbehaglich zu Boden blicken lässt. Dann räuspert sich Jan-Niklas und richtet sich ebenfalls auf.
    »Na ja«, sagt Alina im selben Moment und rückt dabei ein wenig von Hakan ab, der für Augenblicke erschrocken und fassungslos wirkt, »das ist schöne Theorie, typisches Gerede aus dem Ethikunterricht. Aber du bist ein Junge, ein Mann. Und du verstehst nicht, was wir, als Mädchen und Frauen, empfinden.«
    Jetzt ist es an Tomtom, zu erschrecken und um Fassung zu ringen, was ihm sekundenlang nicht gelingt.
    »Genau wie wir alle weiß ich, dass Ömer ein Idiot ist. Dumm. Und als ich«, fährt Alina fort, »da auf der Rutsche betatscht worden bin, war das nicht schön, aber auch nicht dramatisch. Meine kleine Schwester ist vor Kurzem in einem anderen Freibad von einer Gruppe türkischer und arabischer Jungen, als niemand anderer da war, in eine Umkleidekabine gedrängt worden. Sie hatte nur ein Handtuch umgeschlungen, das ist ihr runtergerutscht. Die Jungs haben nichts gemacht. Die haben nur da gestanden und haben sie angesehen. Meine Schwester hat auch nichts gemacht. Sie hat nichts gesagt und nicht geweint, sie hat wie gelähmt gewartet. Die Jungen sind dann gegangen. Und sie hat das Wasser nicht mehr halten können, sie hat in der Kabine auf den Boden gepisst.«
    »Aber«, Tomtom weiß nicht, wo er im Zimmer hinschauen soll, während die anderen vor sich auf den Boden starren, »aber so ein einzelner Fal l …«
    »Ich weiß«, sagt Alina, »dass das ein Einzelfall ist. Aber immer wenn mich einer von denen fragt, ob ich ficken möchte, und immer wenn er mich davor fragt, ob ich deutsch bin, ausgerechnet mich, dann ist das, na klar, solch ein einzelner Fall . Immer wieder ein einzelner Fall . Was, bitte schön, denn auch sonst?«
    Wieder ist es still im Raum. Doch diesmal sitzen nicht alle reglos auf ihren Plätzen.
    Cora nickt mit Nachdruck, sie scheint gar nicht mehr aufhören zu wollen. Und nach einigen Augenblicken nickt Marvin ebenfalls.
    »Was«, Tomtom stottert und stößt an seine Tasse, »was willst du damit sagen?«
    »Die kennen keinen Respekt, obwohl sie dauernd davon reden. Die nicht, deren Eltern nicht. Die begreifen sich als Türken und als Araber und stellen sich gegen die Deutschen. Zumindest gegen die Schlampen. So nennen sie uns ja.«
    »Schon, nu r …«
    »Du hast da was verkippt«, murmelt Simon, vielleicht nur, um überhaupt etwas zu sagen, aber wie gewöhnlich hört ihm niemand zu.
    »Was ich damit sagen möchte? Dass wir uns, unabhängig von Ömer und seinen Dreistigkeiten, erst mal anhören sollten, was Hakan zu sagen hat.«
    Sie stimmen ab.
    »Wer ist dafür?«, fragt Alina. »Wer ist für meinen Vorschlag?«
    Alle bis auf Tomtom und Jan-Niklas heben den Arm. Darius zögert zwar, und er sieht, dass auch Simon zögert, aber als Hakan ihn anschaut, ihn fixiert, als wolle er ihn dringend um etwas bitten, meldet er sich dennoch.
    Danach warten alle, wie es weitergeht, auch Tomtom, der seine Finger unruhig ineinanderwringt. Alina nutzt die Pause, um einen Schluck Tee zu trinken.
    »Okay«, sagt sie und wartet offenbar darauf, dass Hakan endlich zu reden beginnt. Doch Hakan blickt nur dem Staub nach, der in den Strahlen der Sommersonne tanzt. Als Alina noch einen Schluck Tee trinken will, zittert ihre Hand leicht an der Tasse.
    Unvermittelt strafft sich Hakan. Ruhig fragt er Jan-Niklas: »Warum bist du dagegen?«
    Jan-Niklas erhebt sich. Er steht auf, um zu antworte n – wie es sonst nur Hakan tut. Unsicher mustert er die anderen, blickt Tomtom an, der den Blick nicht erwidert, sondern die Augen senkt, und sagt nach einem weiteren Zögern: »Ich kenne das alles natürlich genauso gut wie ihr. Die Zwischenfälle in der U-Bahn, auf der Straße, einer ist zusammengeschlagen, der

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