Blutsbrüder
Darius hat den Eindruck, Hakan konzentriere all seine Energie auf den kommenden Kampf.
Darius’ Gedanken treiben davon, beginnen sich selbstständig zu machen, undeutlich zu werden, als sei er sehr müde. Er träumt von Rike, von Alina, achtet kaum noch auf die Umgebun g – bis Hakan plötzlich sagt: »Ich hatte doch Recht. Sie haben keinen Respekt. Das ist das ganze Problem.«
Wie eine Seifenblase zerplatzen die angenehmen Bilder in Darius’ Kopf. Unwillig erwidert er: »Mag sein. Aber gerade erst hast du vom Unsinn dieser Patrouillen geredet. Und jetzt?«
»Das ist etwas anderes.«
»Niemand zwingt dich, hier auf Emre zu warten.«
»Das verstehst du nicht.«
»Wieso? Du musst es nicht machen.«
»Doch«, sagt Hakan. »Ich muss.«
Als Emre aus dem Gebüsch auftaucht, ist er nicht allein. Bei ihm sind sein kleiner Bruder sowie zwei türkische Doppelwhopper. Der ein e – Emres narbiger Cousin, kahl geschoren und kompak t – führt einen Kampfhund an der Leine, dem ein Maulkorb lose vor der muskulösen Brust baumelt. Herrchen und sein ebenfalls kahler Freund tragen graue Jogginghosen und hochgeschnürte Turnschuhe, die weit über die Knöchel reichen. Der Cousin, der das eine Bein ein bisschen nachzieht, scheint Darius trotz der Prügelei vor dem Club nicht wiederzuerkennen.
»Hallo«, sagt Hakan, jetzt wieder knapp und kühl. An Emre gewandt fügt er hinzu: »Wer sind ’n die?«
»Meine Sekundanten.« Und mit Blick auf Darius: »Hast du doch auch, oder?« Dabei lächelt er beiläufig.
Die Doppelwhopper grinsen und der Pitbull bellt.
»Na dann.« Hakan zuckt die Schultern und wendet sich an den narbigen Hundebesitzer. »Meister, dein Tier hat Mundgeruch. Riech ich bis hierher.«
Als der korpulente Cousin einen Schritt auf Hakan zutreten will, hält ihn Emre zurück. Auch dem anderen kraftstudiogestählten Begleiter legt er eine Hand beschwichtigend auf den tätowierten Unterarm.
Obwohl der Dickmann murrend nachgib t – »bist heute der Chef, Emre, alles tikko-takko « –, beglückwünscht sich Darius, dass er einer Ahnung gefolgt und noch mal in der Wohnung gewesen ist und nun den Trommelrevolver des Vaters schwer in seiner Sommerjacke spürt.
Trotz der Sekundanten und ihres Hundes merkt er, wie ihn die gewohnte Ruhe still werden lässt, kalt und gelassen.
»Und jetzt?«, fragt Hakan.
»Entschuldigst du dich«, sagt Emre und winkt seinem kleinen Bruder, der sich bisher im Hintergrund gehalten hat, zu ihm zu kommen.
»Du gehst jetzt zu Ömer. Du gibst zu, ihn in seiner Ehre verletzt zu haben. Du bittest ihn um Verzeihung. Und er wird dann entscheiden, was er tut.«
Ungläubig starrt Hakan Emre an.
»Und Alina?«
»Sie hat ihn mit ihrem Fahrrad gestoßen und ihn im Freibad geschlagen.«
»Er hat ih r …«
»Sie ist eine Schlampe.«
»Sie ist meine Freundin, Emre. Und du beleidigst sie?«
»Sie verhält sic h … Sie verhält sich wie eine Deutsche.«
»Wir leben hier. Du auch.«
Emre zögert, als ringe er um eine Entscheidung. Endlich erwidert er: »Du hast dein Land vergessen, Hakan. Und deinen Glauben. Du hast Ömer ins Gesicht gespuckt. Du hast ihn nicht geschlagen, du hast ihn in seinem Stolz verletzt. Du bittest ihn um Verzeihung. Oder ich werde dich bestrafen.«
Emre, groß und schlank und durchtrainiert wie eh und je, wirkt jetzt beinahe ruhig, wären da nicht seine Augen, in denen Darius einen Zorn, eine unterdrückte Wut erkennt, die ihm unmäßig vorkomme n – als habe Emre seit Jahren auf diesen Moment gewartet. Mit zusammengebissenen Zähnen ergänzt er: »Du bist ein Verräter, Hakan. Fast von Anfang an. Du hast keine Ehre.«
Dann zieht er seine Jacke aus und geht die letzten Schritte auf seinen Gegner zu.
Die Whopper werden unruhig und ziehen sich dennoch drei Schritte zurück. Der Hund beginnt zu knurren. Der Cousin nuschelt: »Ein Wort, Emre, dan n …« Und Darius richtet sich auf.
Ohne erkennbare Regung sagt Hakan zu seinem Widersacher: »Ich werde mich nicht entschuldigen. Weil Ömer ein Arschloch ist.«
Kaum hat Hakan seinen Satz beendet, spannen sich Emres Begleiter, wird der Pitbull noch nervöser. Aber Emre bedeutet ihnen, sich zu beherrschen. Trotzdem lässt Darius seine Hand in die Tasche mit der Pistole gleiten.
»Ist meine Sache«, nuschelt Emre. An Hakan gewandt zischt er: »Friss meine Scheiße, bokumu ye!«
»Sprich deutsch mit mir«, sagt Hakan. Und ähnlich emotionslos wie vorher murmelt er: »Schlag endlich zu.«
Emre zischt erneut wie in der
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