Blutsbrüder
’ne doofe Idee. Wär Quatsch, solche Patrouillen. Ihr, und gerade du, ihr hattet Recht.«
Darius gibt keine Antwort.
Woher der Sinneswandel? Hat Alina mit ihm geredet?
Doch trotz seines Misstrauens spürt Darius eine Erleichterung und Freude wie schon seit einer Weile nicht mehr. Selbst das Zusammensein mit Rike wirkt auf einmal blasser, tritt in den Hintergrund. Darius muss an sich halten, um nicht aufzuspringen und Hakan zu umarmen. Am liebsten würde er rufen: Endlich hast du’s kapiert! Aber er weiß, wie falsch es wäre, wie unangemessen, wie sehr er Hakan mit solch einer Bemerkung vor den Kopf stoßen würde.
Darius kann nachfühlen, wie viel Überwindung es Hakan gekostet haben muss, den Irrtum einzugestehen. Und wahrscheinlich ist es ihm nur möglich gewesen, weil sie sich hier zufällig über den Weg gelaufen sind. Obwohl er den Freund, der hinter ihm steht, nicht sehen kann, ahnt er, wie Hakan von einem Fuß auf den anderen tritt, die Finger verschränkt, die Hände knete t – und dann hört Darius ihn sagen, und die Stimme klingt nicht klein oder gepresst, sondern klar wie früher: »Ich hätte auf dich hören sollen.«
»Schon okay«, erwidert Darius, ohne sich umzudrehen, »schon okay.«
In seinem Innern breitet sich eine angenehm warme Empfindung aus, für die ihm die Worte fehlen und die ihm vorkommt, als wachse sie über seinen Körper hinaus. Aber er bleibt hocken und nickt nur.
Er füllt die erste Hälfte des Grabs mit Erde. Andrea, das weiße Kaninchen, ist bald nicht mehr zu sehen. Er legt den zweiten Körper, Maria, das schwarze, daneben. Nachdem er beide mit Sand, Mulch, Erde, Strauch- und Astwerk bedeckt hat, schichtet er ein paar flache Steine zum Schutz vor Tieren auf das Grab, schließt es mit einer weiteren Schicht Erde ab, die er mit den Handflächen festdrückt. Auf die Grabstelle streut er altes Laub, bis die Stätte kaum noch zu erkennen ist, und wirft einen Blick über die Schulter.
Noch immer beklommen, doch ohne sich zu erkundigen, wieso Darius seine Kaninchen hier im Gebüsch begräb t – und warum die Tiere überhaupt tot sin d –, hat Hakan der Bestattung zugeschaut. Als Darius das angespannte Schweigen nicht mehr erträgt, fragt er Hakan, was er hier eigentlich tue.
Offenbar froh, endlich etwas sagen zu können, antwortet Hakan: »Ich bin«, ein Blick auf seine Armbanduhr, »in circa zehn Minuten mit Alina verabredet.«
»Nächste Kampagne?« Darius feixt.
»Nein, keine Kampagnen mehr.« Hakan lacht, als er Darius’ Grinsen sieht, laut und erleichtert.
Darius wirft einen letzten Blick auf die kaum kenntliche Grabstelle und hat das Gefühl, gleich heulen zu müssen. Doch dann kommt es ihm vor, als habe er mit etwas abgeschlossen, und obwohl es ihm unpassend erscheint, ist er fast froh. Er steht auf, dreht sich um und umarmt Hakan, drückt ihn endlich an sich, hebt ihn hoch, während er sich fragt, wie der Streit überhaupt so hat ausarten können.
»Hey«, sagt Hakan, »lass mich runter!« Und bevor der Moment peinlich werden kann, fügt er hinzu: »Ich geh mal gucken, ob sie schon da ist. Kommst du mit?«
»Nur kurz.« Darius zögert. »Muss, hm, nachher noch was machen.«
Er folgt Hakan auf einem Pfad an der Friedhofsmauer entlang, wirft die blutige Schlafsackhülle in einen verbeulten Mülleimer, der neben einem der Erdhaufen steht, hört jetzt erst, dass auf dem Flughafen die Turbinen einer Maschine warm laufen, vernimmt außerdem das Rotorengeräusch eines Hubschraubers, der Richtung Stadtautobahn fliegt, und tritt aus dem Gebüsch auf den von Pappeln, Haselnüssen und Flieder dicht gesäumten Platz.
Der Krach der Propellerturbinen und das nur langsam verebbende Geräusch des Rettungshubschraubers lenken Darius und Hakan ab und verhindern, dass sie rechtzeitig bemerken, was am anderen Ende des Platzes geschieht.
Alina steht mit ihrem Fahrrad einer Gruppe türkischer Jungen gegenüber, zwölf, dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt, teils zu Fuß, teils auf Klapprädern oder Mountainbikes, Jungen, die mit Stöcken herumfuchteln und Alina umringen. Zunächst unsicher, wie sie sich verhalten soll, erkennt sie Hakan und Darius und will sich durch die Gruppe hindurchdrängen, indem sie ihr Fahrrad auf den ersten zuschiebt und mit einigem Nachdruck sagt: »Haut endlich ab!«
Die Jungen erwidern nichts, sondern starren Alina, die eine neue Frisur hat, wortlos an. Weil derjenige, der Alina im Weg steht, nicht ausweicht, stößt der Reifen ihres Vorderrades
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