Blutschuld
beiseite stemmen. Sie spürte seinen Hüftknochen im Kreuz. Mit einer Hand drückte er ihr Gesicht auf das nasse Autoblech.
»Lass das!«, warnte er, und es krampfte Naomi das Herz zusammen. Sie konnte kaum atmen, so eng war ihr um die Brust. Sie japste, rang verzweifelt nach Luft und mindestens genauso sehr mit ihrem Verstand. Suchte nach einem Rest, einem letzten Funken Vernunft.
Hoffte, ihr krankes Hirn würde sich gleich wieder einkriegen.
»Silas.« Sie krächzte es, stolperte über die zwei Silben, weil ihr Mund plötzlich staubtrockenen war.
Silas Smith war ein guter Hexenjäger gewesen. Ein guter Freund. Bis ihm sein bisschen Verstand in die Hose gerutscht war und er sich in eine Hexe verliebt hatte.
Für die er in Feuer und Flammen gestorben war.
Hier und jetzt aber, wo seine schwielige Hand ihr Gesicht auf das kalte Metall der Motorhaube gedrückt hielt und sein warmer Körper sie flach dagegen presste, konnte Naomi die Wahrheit nicht weiter leugnen.
Silas Smith war nicht tot.
Ganz eindeutig war er nicht tot. Das bedeutete, er arbeitete für die . Für die andere Seite.
Silas Smith hatte sie hintergangen. Verraten.
»Du tust mir weh!«, fauchte sie.
Der Druck, den die Hand auf ihr Gesicht ausübte, verstärkte sich. »Von wegen. Wenn ich dich loslasse, dann … leck mich!« Naomi bewegte sich mit der Schnelligkeit und Geschmeidigkeit eines schlüpfrigen Reptils. Der Rest des Satzes ging in einemKeuchen unter, als Naomi ihren Ellenbogen in Silas’ Brustbein rammte.
Er krümmte sich, und sein Gewicht gab ihren Körper frei. Naomi hakte ihren Fuß um sein verletztes Knie und zog mit einem kräftigen Ruck daran.
Mit einem Aufkeuchen ging Silas Smith zu Boden.
Naomi warf sich herum, tänzelte rücklings davon, die Fäuste geballt, die Deckung hochgenommen, bereit für den nächsten Angriff. Sie wartete. Keine zehn Pferde brächten sie dazu, sich mit einem Mann, der eine ganze Ecke größer war und doppelt so viel wog wie sie, auf dem Boden zu wälzen, nein danke!
Der Tod war gnädig mit Silas Smith umgegangen.
Er hatte nichts an Muskelmasse eingebüßt, nichts von der tödlichen Eleganz seiner Bewegungen. Mit einer seiner großen Hände rieb er sich das Brustbein. Seine Haut hatte merkwürdig viel Farbe; er wirkte unglaublich gesund.
Misstrauisch beäugte er sie mit grau-grünen Augen.
»Du verfluchter Hurensohn!«, sagte sie zornig. »Du hinterhältiges, abtrünniges Arschge …!«
»Herrgott noch mal, Nai!« Der Satz kam ihm aus tiefstem Herzen. Raubeinige Ungeduld. Anspannung.
Und … Angst?
Gut. Sollte er sich vor Angst in die Hosen machen. Er sollte sich fragen, ob sie ihm eine Kugel in den Kopf jagen würde. Sie umkreiste ihn, beobachtete ihn. »Wie geht’s deiner dreckigen Hexenschlampe?« Als in seinem Blick Wut aufflackerte, lächelte sie nur. »Ach, also tot? Wie du es sein solltest?«
»Herr im Himmel!« Silas breitete die Arme aus. »Kannst du mal für ’nen Moment die Klappe halten und zuhö…«
»Du hast deine Wahl getroffen.« In einer einzigen fließenden Bewegung zog Naomi die Waffe aus dem Halfter und zielte damit auf Silas. Mit einer Hand stützte sie die Hand um den Griff der Waffe, während Silas Anstalten machte, auf sie zuzukommen.»Keine Bewegung! Ich stell mich nicht hierhin und lausche andächtig all den Lügen, mit denen dich deine Schlampe gefüttert hat, vergiss es!«
»Naomi …«
»Ich sagte nein!« Die Worte kamen zu heftig heraus. Es verriet zu viel.
Silas erstarrte, schloss die Augen. Mitgefühl. Herrje, verflucht, sein Mitleid war wirklich das Letzte, was sie brauchte!
»Spar dir den Sülz«, sagte sie, betont ruhig. »Ich habe nicht die Zeit, dich irgendwo zusammengeschnürt zu hinterlegen, damit die Mission dich einsammeln kann. Also schieß ich dich einfach über den Haufen und hab mein Tagwerk damit vollbracht, okay?«
»Und du glaubst wirklich, du bringst das, ja?«
»Süßer«, sagte sie gedehnt, während sich ihr Finger um den Abzug krümmte, »du bist echt das Geringste meiner Probleme.«
Oder hätte es zumindest sein sollen. Es gab noch so viel, das sie zu erledigen hatte, so viel, um das sie sich kümmern musste, über das sie sich Sorgen machen musste. Ihre Arme wurden langsam schwer, die Schultern waren zu angespannt, der Nacken schmerzte. Immer noch zeigte die Mündung des Colts auf Silas’ Brust, genau in deren Mitte. Ganz leicht zitterte der Lauf, gerade noch vertretbar.
Breitbeinig stellte Naomi sich hin, packte
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