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Blutschuld

Blutschuld

Titel: Blutschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Cooper
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habe dich nie leiden können«, gab Naomi zurück. Mit wilder Genugtuung und einer gewissen Erheiterung sah sie, dass er ihr den Mittelfinger zeigte.
    Jessie, gleich hinter ihr, lachte. »Ich liebe dich auch«, flüsterte sie ihm zu. »Geh jetzt und tu, was getan werden muss.«
    »Dreißig Minuten«, sagte er grimmig. »Dreißig Minuten, verflucht, und keine Sekunde mehr, oder ich komme nach! Hast du mich gehört, West?«
    »Hab ich, klar«, murmelte Naomi und stieg in das Loch. Sofort umgab sie die Dunkelheit unter dem Parkdeck. Sie wusste genau, dass alles Weitere nicht so einfach werden würde. Schon jetzt stand sie bis zur Brust in dünnen Rauchschwaden, die wie Geisterschatten jeder ihrer Bewegungen folgten. Der Rauch stach ihr in die Nase und brannte in der Kehle.
    Jessie war nach ihr in das Loch gestiegen. Sie musste wie Naomi selbst losgelassen und das letzte Stück gesprungen sein. Dem Aufprallgeräusch nach war sie unmittelbar hinter ihr gelandet. »Gemma braucht Ihre Hilfe zuerst.«
    »Wo ist Phin?«
    Die Hexe drängte sich an ihr vorbei und schaltete eine Taschenlampe ein, die einen Kegel Licht in die Dunkelheit bohrte. Rankengleich waberten Rauchschwaden durch das Licht. »Gemma zuerst«, wiederholte Jessie.
    »Gott verflucht   …«
    Jessie drehte sich zu ihr um; der Lichtkegel der Taschenlampe stach Naomi ins Gesicht. Sie fluchte, weil sie geblendet nicht sah, wie Jessies Hand vorschoss, um sie vorn am Neopren des Anzugs zu packen.
    »Jetzt hören Sie mir mal zu!«, verlangte sie. Ihre Stimme vibrierte vor mühsam unterdrückter Wut und Schmerz. »Fünfzehn Menschen sind tot. Haben Sie das verstanden? Nur acht von ihnen sind im Feuer umgekommen, und der Hexer, den Sie umgebracht haben, Agent West, ist dabei nicht einmal mitgezählt.«
    Naomi griff nach dem schmalen Gelenk, das zu der Hand gehörte, die sie gepackt hielt. Aber sie nutzte den Vorteil nicht, den sie hatte. Verdrehte der Hexe nicht das Handgelenk, um die Kleine zu Boden zu schicken.
    Vielleicht war es die Leidenschaft in Jessies Stimme.
    Vielleicht war es der Aufruhr aus Bedauern und gebündelter Wut, der gleich darunter zu spüren war.
    »Ich verstehe«, entgegnete Naomi ruhig. »Und, ja, ich hab’s kapiert. Ich erledige Carson schon noch, keine Sorge!«
    »Das ist meine geringste Sorge.« Jessie löste die Finger, und Naomi ließ ebenfalls los. »Ich wünschte, Sie wären nicht so schwer von Begriff.«
    »Leck mich! Wenn Sie alles wissen   …«
    »Tu ich nicht.« Jessie drehte sich um und ging den schmalen, niedrigen Tunnel entlang. »Aber was hätte ich wohl von Ihnen zu hören bekommen, wenn ich zu Ihnen gekommen wäre und gesagt hätte: ›He, wenn ich Ihnen eine Gruppe von Menschen zeige und sie als Hexen und Hexer bezeichne, wären Sie dann so freundlich und sperrten sie für mich ein?’«
    Naomi öffnete schon den Mund, um etwas zu erwidern, zögerte dann aber. Sie ballte die Fäuste, dass ihr die Nägel in die Handflächen schnitten, und räumte grimmig ein: »Ich hätte jede Menge Fragen gestellt, klar.« Sie runzelte die Stirn. »Jesus Maria. Los, Prinzessin, los weiter, den Gang lang.«
    »Sehr witzig, Miss Ishikawa.« Jessies Ton war eher niedergeschlagen als sarkastisch, während der Lichtkegel der Taschenlampe in der verrauchten Dunkelheit hüpfte. »Wer von uns beiden kommt denn wohl näher ran an Prinzessin?«
    Naomi schluckte schwer an der Bemerkung. Scheißschicksal.
    Schweigend gingen sie weiter, bogen um Ecken und nahmen Abzweigungen, bis Naomi jedes Empfinden für die Richtung, in die sie gingen, verloren hatte und nicht mehr wusste, wo sie waren. Wo sie wohl herauskommen würden. Lange starrte sie nur auf einen blonden Hinterkopf und einen Rücken in salbeigrüner Zeitlos -Uniform. Endlich hatte sie genug davon und brach das Schweigen. »Wie zum Geier kommt es, dass Sie sich in diesen Tunneln so gut auskennen?«
    Jessies Augen blitzten auf, als sie Naomi einen Blick über die Schulter zuwarf. »Gutes räumliches Sehen.«
    »Schwachsinn!«
    Die Hexe seufzte auf. »Habt ihr Missionsagenten bei der Sache Peterson eigentlich gar nichts gelernt?«
    Naomi knirschte mit den Zähnen. »Offenbar nicht. In seinen Aufzeichnungen stand nichts Ungewöhnliches.«
    »Na, da wird der neue Missionsleiter aber einen Mordsspaß gehabt haben«, meinte Jessie ironisch. »Ich weiß, was hier vorgeht, weil ich die Gegenwart sehen kann.«
    »Wie   … sehen?«
    »Die Gegenwart. Ich kann sie sehen«, wiederholte sie. »Alles, was

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