Blutschuld
Leib auffraßen, ihr alle Energie nahmen. »Ist egal«, stieß sie hervor. »Brauche … dich.«
»Ich bin hier. Wo ist Phin?«
Gemma lächelte matt. Ihre Augen glänzten fiebrig, suchten Naomis Blick. »Ritter auf weißem … Pferd. N…Naomi. Du musst es … auf dich nehmen.«
Um sie herum, Naomi hörte kaum hin, aufgeregtes Aufkeuchen. Erregtes Gemurmel.
Geflüsterte Fragen.
Jessie umrundete den Kreis um Gemma. Auch das nahm Naomi nur vage wahr. Jessie betrachtete sie, betrachtete Gemma, und ihr Gesichtsausdruck erzählte Naomi, was sie bereits wusste.
Gemma war nicht mehr zu helfen. Bauchschuss.
Tränen schnürten Naomi die Kehle zu. »Auf mich nehmen? Was denn?«, fragte sie mit versagender Stimme. »Was kann ich tun?«
»Die Quelle.« Gemmas Finger umklammerten Naomis Hand fester. Sie packte so fest zu, dass ihr ein Stich Schmerz von den zusammengequetschten Fingern den Arm hinaufschoss. »Du bist … die Richtige.«
»Die Richtige?« Naomi schüttelte den Kopf. Die erste Träne lief ihr die Wange hinunter. »Ich will nicht die Richtige sein, für was auch immer. Ich will Sie raus aus diesem Loch haben und hinauf ans …«
Gemmas leises Lachen schnitt ihr das Wort ab. Es war kein bitteres Lachen, nicht das Lachen einer Sterbenden, das gleich versiegen würde. Es war nicht die aufbrausende Wut, die Naomi bei jemandem erwartet hätte, der von einem wahnsinnigen Bastard niedergeschossen worden war.
Es war ein sanftes, freundliches Lachen. Eines, das Naomi wie eine Liebkosung umgab.
Ein süßes Lachen voller Zärtlichkeit.
»Ich weiß, du bist die Richtige«, wisperte Gemma. »Phin … weiß, du bist die Richtige.« Naomi krampfte sich das Herz zusammen. »Nimm die Gabe.«
Naomi riss die Augen auf. »Die was?«
Gemma hingegen schloss die Augen. »Nimm sie; beschütze sie. B…bitte.«
»Naomi.«
Sie sah auf, blickte von der schweißglänzenden, verzerrten Maske aus Anstrengung, zu der Gemmas bleiches Gesicht geworden war, zu Jessie hinüber. Als ihre Blicke sich trafen, erkannte Naomi in den golden schimmernden Augen tiefen Kummer.
»Sie ist eine Hexe.«
Naomis Hände zuckten.
Jessie packte sie bei der Schulter, fest genug, um Spuren ihrer Fingernägel darin zu hinterlassen, hätte Naomi ein beliebiges Kleidungsstück aus Stoff getragen. Es wären Spuren genau in der Schulter gewesen, deren Haut gerade erst über einer tiefen Schusswunde vernarben sollte. »Halt die Klappe, bitte, und hör mir zu! Die Gabe, die Gemma in sich trägt, ist die Gabe zu heilen. Andere, nicht sich.« Die Hexe bückte sich und strich sanft über Gemmas Stirn. »Sie ist der Brunnen der reinen Lebensenergie, Naomi, der Jungbrunnen, wenn du so willst, die Quelle des Lebens.«
»Sie ist eine Hexe …«
»Du bist«, fuhr Jessie ihr über den Mund, »die Einzige, die diese Gabe davor bewahren kann, für immer zu versiegen. Nimmst du dieses Geschenk nicht an, stirbt etwas Wunderschönes, etwas Gutes, Hilfreiches, und die Welt verliert mit dieser Gabe noch mehr von ihrer Seele, als sie sowieso schon verloren hat.«
Naomi schauderte es. »Von mir aus kann diese Schlange von Welt ihren eigenen Schwanz fressen und dran krepieren!«
»Es ist Gemmas letzter Wille, Miss West.«
Gemma riss die Augen auf. »Ich kann … ich kann für mich selbst sprechen, danke«, sagte sie. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst, aber dennoch unüberhörbar Gemma. Sie musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, doch mit jedem Wort wurde sie schwächer. Naomi umklammerte Gemmas Hand, als könnte sie es so verhindern.
Als könnte sie Gemma daran hindern, ihr Leben auszuhauchen.
Ach, verflucht, als könnte das verhindern, dass sie mit Gemma auch ihre Fassung verlöre.
Jessies Lächeln blitzte auf. »Verzeihung«, flüsterte sie. »Ich dachte nur …«
»Ich bin bereit. Ich nehme die Gabe.« Naomi mied Jessies Blick. »Gemma, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Beug dich … zu mir, mein Kind«, wisperte Gemma. »Und Sie, Cally … oder wie auch immer Sie heißen … Sie wissen, wann wir das Wasser brauchen. Das … warme. Den Wasserfall.«
»Ja, Ma’am«, erwiderte Jessie leise.
Die Menschen in den Zeitlos -Uniformen um sie herum wurden unruhig. Auf dem Boden prangte der Bannkreis aus Blut. Jenseits ihrer Gesichter, in denen Verunsicherung, Unglaube, Erregung stand, lagen Michael Rook und Jordana wie ein Haufen willenloser Glieder zusammengesackt beieinander. Sie atmeten, waren aber bewusstlos.
Der Mann,
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