Blutschuld
Kopf, ein erfolgloser Versuch, um wieder klar zu werden.
Mit Macht presste es ihren Brustkorb zusammen. Zunehmend fiel es Naomi schwer, Sauerstoff in ihre Lungen zu zwängen, der das Gehirn sowieso nicht mehr zu erreichen schien. Sie fletschte die Zähne. Unter großer Anstrengung zwang sie ihre Muskeln, sich in Bewegung zu setzen. Der Hexer hatte ihr dieses Mal nicht nachgesetzt. Und dann, ganz plötzlich, war der mit Magie geführteAngriff vorbei. Es geschah derart unerwartet und schlagartig, dass Naomi taumelte, als der eigenen Muskelspannung plötzlich der Widerstand fehlte.
Um Halt zu finden, klammerte sie sich an die Rückenlehne des eleganten Diwans. Sie rang nach Luft, bemühte sich, ihre verengten Lungenflügel damit zu füllen. Hysterie, fest wie ein Stahlband um ihre Brust, machte es verflucht schwer zu atmen.
Wieder flimmerte es vor Naomis Augen. Instinktiv rettete sie sich mit einem Hechtsprung zur Seite. Zum zweiten Mal kollidierte sie mit dem Sofatisch, hielt sich daran fest, als der Raum sich um sie herum zu drehen begann.
Aber niemand und nichts griff sie an.
Sie zwang sich ruhiger durchzuatmen und zog sich hoch auf die Beine. In eben diesem Augenblick schlossen sich mit sanftem hydraulischem Flüstern die Türen des Fahrstuhls zu ihrer Suite. Naomi blieb allein zurück, noch immer gebannt vom stechenden Blick der tiefblauen Augen. In der Luft hing mit der Schärfe von Ozon die tödliche Magie des Hexers.
»Verfluchtes Arschloch!«, knurrte Naomi, sprang vor und schlug mit der ganzen Handfläche auf den Aufzugsknopf. Zu gottverdammt spät! Sie sog Luft in ihre Lungen, atmete ein, hielt die Luft an, atmete langsam wieder aus. Sie wiederholte es: einatmen, ausatmen. Ruhe herstellen.
Kontrolle wiedergewinnen.
Verfluchter Scheißdreck! Naomi trat auf die Stahltüren ein, bis ihre Suite von dem metallischen Geräusch widerhallte. Schmerz pochte in ihren Zehen.
Stockwerk für Stockwerk leuchtete die Anzeige auf, während der Fahrstuhl mit dem mächtigen Hexer nach unten sank. Siebzehn. Sechzehn. Fünfzehn …
Sollte sie versuchen, schneller zu sein als der Fahrstuhl und die Treppe hinunterrennen – wo auch immer die sein mochte? Zum Teufel, der Hexer könnte in jedem beliebigen Stockwerk aussteigen, ehe der Aufzug das Erdgeschoss erreichte. Niemals würde Naomi den Scheißkerl so erwischen.
In der Zeit, die der Lift brauchte, um wieder hinauf zu Naomis Suite im obersten Stockwerk zu klettern, scharrte die Hexenjägerin in kniehohen Lederstiefeln mit den Füßen und wusste ganz genau, dass der Attentäter längst auf und davon war.
Mit dem charakteristisch satten Zischen glitten die Aufzugstüren auf. Naomi hinkte in die elegante, mit Spiegeln verkleidete Kabine. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, die Faust in das reflektierende Glas zu versenken.
Keine Waffe, keine Munition. Sie hatte angenommen, diese dämliche Mission wäre so hexenfrei wie ein sonntägliches Hochamt. Aber dass die Haut auf ihrem Unterleib immer noch prickelte, strafte diese Annahme Lügen. Sie hatte sich geirrt.
Verdammt geirrt.
Die Frau, die aus dem suite-eigenen Fahrstuhl schoss und ihm direkt in die Arme lief, brachte alles in Phinneas Clarke zum Klingen – in seinem Kopf und an einigen anderen Stellen.
Das meiste davon waren Alarmsirenen.
Ärger auf zwei Beinen. Ärger, in fetten Großbuchstaben geschrieben, auf zwei endlos langen Beinen. Darüber ein durchtrainierter, straffer Körper. Nach dem, was Phin Körper an Körper spürte, schien die schlanke, muskulöse Weiblichkeit wie für ihn persönlich maßgefertigt. Der Schwung, mit dem der personifizierte Ärger so überraschend aus der Fahrstuhlkabine geschossen kam, warf ihn rücklings gegen die Wand. Sein Hinterkopf prallte gegen die Seidentapete und vom Beton darunter ab, dass es durch seinen Schädel hallte, als wäre eine große, volltönende Glocke angeschlagen worden. Ganz plötzlich hatte er in jeder Hand weiche Wolle und sanfte weibliche Kurven.
In der Gegenbewegung drohte die Schöne rücklings auf denMarmor zu stürzen, zog Phin Zoll um Zoll mit. Engster Körperkontakt. Phins Verstand setzte aus. Dennoch verhinderte er den Sturz, griff zu, balancierte sich und die Schöne aus, indem er sie schützend an die Brust drückte. Da rammte die so Gerettete ihm, wohl ein Reflex, ein Knie zwischen die Beine. Zum Glück für Phins verletzlichste Teile gewann jedoch bewusstes Handeln die Oberhand über Instinkt, und er fing das Knie halb in
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