Blutschwestern
Karok fiel mit Nona zu Boden, und während sie regungslos blieben lieg, kroch er von
ihr fort … Unter den Augen seiner Krieger kroch er auf allen vieren zurück in den Tempel und befahl ihnen mit zitternder Stimme,
die Tore hinter ihm zu schließen.
Dawon fand Ilana schnell, da sein Geruchssinn ausgezeichnet war und ihn leitete. Sie lag hinter der Fensteröffnung auf dem
Boden ihres Gefängnisses und bettelte um Wasser, als sie ihn sah. Dawon sah sich um, konnte jedoch keinen Brunnen entdecken
und musste sich bald wieder in die Luft erheben, um nicht von Karoks Kriegern gesehen zu werden. Er zog einen Kreis über dem
Tempel und sah, dass Nona reglos auf dem Boden lag, jedoch bewacht von Karoks Kriegern. Er versuchte zu ihr zu gelangen, doch
immer, wenn er ihr zu nahe kam, wehrten sie ihn mit langen Speeren ab. Sie war blass, das Leben schien aus ihr zu entweichen.
Dawon schoss erneut in die Höhe und machte sich auf den Weg zu den Stadttoren von Dungun. Er flog über das Sumpfland, und
als er es halb überquert hatte, sah er den großen Heerestross unter sich. Er stieß |254| hinab zu ihnen, und die Männer hätten ihn beinahe getötet, wenn Tojar sie nicht davon abgehalten hätte.
»Dawon hat Ilana gefunden. Ilana lebt, doch Karok hat sie eingesperrt, um sie verdursten zu lassen. Dawon konnte nicht zu
ihr, und auch Nona kann er nicht erreichen. Die Wachen richten die Speere auf ihn, wenn Dawon sich ihr nähern will.«
Tojar sah den Greifen genau an. Er war aufgeregt, er log nicht; und er hatte nie gelernt, dass die Klauen an seinen Schwingen
eine gefährlichere Waffe waren als ein paar Speere. Was war er doch für ein seltsames Geschöpf, dieser Greif! Vollkommen anders
als die anderen, die über das Taligebirge flogen und den Frauen nachstellten.
»Mador hat mich verraten. Deine Gefährtin hatte recht«, erklärte Tojar und trieb seine Männer zur Eile an. »Am Abend werden
wir Dungun erreichen. Du musst dafür sorgen, dass die Stadttore geöffnet sind.«
Der Greif nickte ihm zu, fragte dann jedoch: »Dunguns Tore werden bewacht. Dawon kann hinüberfliegen, doch wie soll er die
Wachen dazu bringen, die Tore zu öffnen?«
»Du musst sie töten und das Tor von innen öffnen«, antwortete Tojar, als spräche er zu einem Kind.
»Dawon kann nicht töten«, antwortete der Greif irritiert.
»Bei Salas Liebe – Greif! Tu irgendetwas! Wenn du sie nicht töten kannst, dann locke sie fort und öffne uns die Tore.« Er
forderte einen seiner Männer auf, Dawon seine Axt zu geben, die der Greif ungelenk in seinen Händen hielt. »Damit zerschlägst
du die Scharniere, wenn das Tor offen steht. Das hat beim letzten Mal auch geholfen.«
Dawon betrachtete die schwere Axt in seinen Händen und wusste noch immer nichts damit anzufangen.
»Scharniere kannst du doch zerschlagen, Greif? Du besitzt mehr Kraft als ein Talukkrieger.«
Das Gesicht des Greifen erhellte sich. »Dawon kann die Scharniere zerschlagen. Er wird die Wachen vom Tor fortlocken.«
|255| Tojar atmete auf. Er hoffte inständig, dass er den Greif nicht überschätzte, indem er sich auf dessen Hilfe verließ. Doch
was blieb ihm für eine andere Wahl? Er sah zu, wie Dawon sich mit der schweren Axt mühelos in den Himmel erhob und ihnen vorausflog.
»Bei Salas Liebe! Ich hätte niemals gedacht, dass ich einen Greif mal um seine Schwingen beneiden würde. Beeilt euch!«, rief
er seinen Männern zu. Er wunderte sich darüber, dass die Schjacks sich so friedlich verhielten und sie noch kein einziges
Mal angegriffen hatten. Was tat der Hohepriester von Dungun? Schlief er etwa?
Als sie gegen Abend die Tore Dunguns erreichten, flog der Greif vor ihren Augen über die Tore und rief den Männern dahinter
etwas zu. Dawon zog einen großen Bogen um die Stadt, dann kam er zurück, und das Tor öffnete sich vor Tojars Augen. Kurz darauf
zerhieb Dawon die großen Scharniere jeweils mit einem einzigen Schlag. Tojar schüttelte den Kopf darüber, wie schnell die
Männer Dunguns auf eine solch plumpe List hereingefallen waren. Irgendwie wirkten sie unbeholfen und wenig organisiert. War
das wieder eine neue List des Hohepriesters von Dungun?
Dawon gab Tojar die Axt zurück und wies hinauf zur Tempelstadt. »Ilana und Nona sind dort oben. Dawon kennt den Weg.«
Er führte die Taluk in die Stadt hinauf. Auf halbem Wege wurden sie tatsächlich angegriffen. Von allen Seiten stürmten Karoks
Männer auf sie zu, doch nichts war
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