Blutschwestern
als sie Atem holen musste. Akari hustete, dann schluckte sie. Der Schmerz traf sie unvorbereitet.
Mein Hals … mein Hals brennt wie Feuer
, dachte sie verzweifelt, bevor das Brennen so stark wurde, dass sie erneut das Bewusstsein verlor.
Akari erwachte. Sie begriff, dass sie nicht mehr fror. Ihr war kalt gewesen, fürchterlich kalt, sie hatte sich einsam gefühlt
… sie fragte sich weshalb. Langsam erhob sie sich von ihrem Lager und trat an das Fenster. Sie hatte einen schlimmen Traum
gehabt, doch sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wovon er gehandelt hatte; sie wusste nur noch, dass er schlimm gewesen
war. Nachdenklich fuhr sie sich durch das Haar. Schlimm! Was bedeutete das? Sie versuchte sich vorzustellen, was schlimm war,
doch sie konnte es nicht. Sie wusste um die Bedeutung des Wortes, aber sie konnte keinerlei Gefühlsregung damit in Verbindung
bringen. Akari blickte hinunter auf die Straße, wo Pakal gerade einen Geopferten auf einen Speer spießte. Die Arme und Beine
des Mannes standen in seltsamer Weise vom Körper ab. Akari beobachtete Pakal und sein Tun interessiert, da der Anblick der
verdrehten Gelenke irgendwie seltsam war. Sie hielt inne! Warum war sie hier? Es |62| musste einen Grund dafür geben, aber sie konnte sich nicht erinnern, welcher das war. Sie erinnerte sich daran, dass sie in
Engil gelebt hatte und eine Schwester mit dem Namen Ilana hatte. Sie hatte Ilana geliebt. Geliebt! Was bedeutete das? War
das etwas Gutes … oder etwas Schlechtes? Unschlüssig ging sie zurück zu ihrem Bett und setzte sich. Sie fühlte sich leicht
wie ein Blatt und ahnungslos wie ein Kind. Sie wusste, dass es noch am gestrigen Tage Dinge in ihrem Leben gegeben hatte,
welche ihr viel bedeutet und die sie beschäftigt hatten. Doch warum? Und was waren das für Dinge gewesen?
Plötzlich wurde die Tür zu ihrem Raum geöffnet. Der Hohepriester Muruks trat ein. Akari befand, dass er hässlich war.
»Bleib da drüben!«, rief sie, und Karok blieb stehen.
»Ich wollte gestern etwas tun, etwas, das mir wichtig war, doch ich habe vergessen, was das war. Sag mir, warum ich hier bin!«,
befahl sie dem Priester.
»Meine Königin …«, erwiderte der Hohepriester leise, »… hast du vergessen, dass du hier bist, um dich auf den Kampf vorzubereiten?«
»Den Kampf?«, fragte Akari. Das Waffenhandwerk hatte ihr immer zugesagt – das zumindest wusste sie noch. »Gegen wen muss ich
kämpfen?«
»Gegen deine Schwester, denn nur eine von euch darf Königin sein.«
»Ach ja, ich habe eine Schwester, ich erinnere mich an sie. Aber mein Verstand sagt mir, dass ich sie geliebt habe, auch wenn
ich nicht weiß, weshalb oder was das bedeutet.«
»Ah, meine Königin … du hattest einen bösen Traum. Er hat deinen Kopf verwirrt. Doch sei unbesorgt. Bald wirst du wieder wissen,
wer du bist«, versprach Karok schmeichelnd. »Du willst doch Königin von Dungun bleiben, nicht wahr?«
Akari überlegte eine Weile, dann nickte sie. Natürlich wollte sie Königin bleiben, alles andere erschien ihr wenig logisch.
|63| »Das geht nur, wenn deine Schwester keine Königin mehr ist.«
Wieder überlegte Akari eine Weile. Der Hohepriester schien die Wahrheit zu sagen. Weshalb wäre sie sonst hier? Sie hatte nicht
immer hier gelebt, und ihre Erinnerungen sagten ihr, dass ihre Schwester noch immer dort war, wo auch Akari einst gelebt hatte.
Also musste ihre Schwester sie vertrieben haben.
»Ich verstehe«, gab sie deshalb knapp zurück und erhob sich. »Erzähl mir alles, damit ich wieder weiß, wer ich bin.«
|64| Nona und der Greif
Nona reckte den Hals, um besser sehen zu können. Obwohl sie in der letzten Sommerwende gewachsen war, versperrten ihr die
Menschen die Sicht. Ilana weilte nun schon lange in Salas Tempel, und Nona wurde unruhig, da sie nicht wusste, was vor sich
ging. Ernst und besorgt hatte Liandra ausgesehen, als sie am Morgen zur Königin gekommen war und sie gebeten hatte, den Tempel
Salas aufzusuchen. Nona hatte sie wie immer begleitet, denn seit Ilana ihr vor einem Jahresumlauf das Leben gerettet hatte,
waren sie enge Gefährtinnen, die sich kaum von der Seite wichen. Ilana behandelte Nona nicht wie eine rechtelose Sklavin,
ließ sie nicht jene Verachtung spüren, die Liandra ihr entgegenbrachte. Nona dankte es Ilana mit echter Freundschaft statt
geheuchelter Ehrerbietung, welche der Königin oft entgegengebracht wurde. Doch vor dem Tempel hatte Liandra Nona mit
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