Blutschwestern
Vorsichtig tastete sie in der Dunkelheit nach ihrem Schwert und fand
es neben sich. Doch dann erstarrte sie, denn aus der Finsternis hörte sie das altbekannte Klappern und Pfeifen, wie Wind,
der heulend und heiser durch ein Falbhorn stieß!
Schjack!
fuhr ihr durch den Kopf, und wieder befand sie sich in der schrecklichen Lage, dass sie nichts sehen konnte. Nur der Gestank
verriet ihr, dass die Kreatur direkt vor ihr sein musste.
Vielleicht wäre Sasalors Dolch doch besser gewesen
, mahnte ihr Verstand |86| sie, doch es war ohnehin zu spät. Nona tastete nach dem Beutel mit Feuerkraut, den sie an ihrem Gürtel trug, seit die Alten
ihn ihr gegeben hatten, und öffnete mit zittrigen Fingern das Zugband. Sie verlor keine Zeit – egal, was sie zu sehen bekommen
würde, sie musste wissen, wo es war, damit sie sich wehren konnte, wenn es sie angriff.
Nona zog die Beine an und klemmte ihr Schwert zwischen die Knie, so dass sie es griffbereit hatte. Dann verteilte sie das
Feuerkraut leise auf ihren Händen, um das Geschöpf nicht zu reizen. Schließlich begann sie schnell ihre Hände aneinanderzureiben.
Es gab eine Verpuffung, der eine helle Stichflamme folgte.
Ein riesiges Maul mit jeweils zwei hintereinander stehenden Reihen scharfer gelber Zähne, Augen wie schwarze kalte Steine
und ein kräftiger untersetzter Körper mit blutig verkrustetem Fell leuchteten vor Nona auf. Sie starrte in einem Anflug von
Entsetzen, als die Kreatur, die ihr so nahe gewesen war, dass sie einfach nur hätte zuschnappen brauchen, geblendet vom hellen
Schein der Flamme zurückwich. Hinter ihr leuchteten Zeichen an der Wand auf, uralt, fast bis zur Unkenntlichkeit verblasst
– und doch klangen Nona die ersten Wörter im Kopf, bevor die Flammen erloschen.
Dies sind die Verkündungen von Sala, Göttin des Lichts, die das Dunkel besiegen wird …
Nona wusste mit einem Mal, dass sie bereits die gesamte Schrift in ihrem Kopf hatte, doch ihr fehlte die Zeit, sich darüber
Gedanken zu machen. Ein wütendes Klappern, ein heulendes Pfeifen, und Nona wurde klar, dass der Schjack zum Sprung angesetzt
hatte. Unwillkürlich ergriff ihre Hand das Schwert. Sie zog es hoch, die Klinge in Richtung des Schjacks, als der Schlag eines
Aufpralls so hart durch ihren Arm fuhr, dass es ihr Mühe bereitete, die Klinge zu halten. Das Rotmetall fuhr in Fleisch, stieß
auf Knochen. Die Kreatur war direkt in ihre Klinge gesprungen, und fiel nun schwer auf ihre Beine, während sie sich unter
wütendem Geheul wand. Panisch versuchte Nona ihre Beine |87| frei zu kämpfen, doch in ihrem Rücken war die Wand. Also trat sie so gut sie konnte mit den Knien nach ihm. Zwei Reihen spitzer
scharfer Zähne bissen sich in ihrem Schenkel fest. Nona heulte auf, als der Schmerz wie heißes flüssiges Silber durch ihren
Körper fuhr. Mit letzter Kraft zog sie ihr Schwert aus dem Körper des Schjacks und hieb in der Dunkelheit nach der zappelnden
Kreatur, die sie nicht freigeben wollte. Wieder und wieder stieß sie mit der Klinge zu. Tränen des Schmerzes und der Angst
liefen über ihr Gesicht. Dann endlich heulte der Schjack ein letztes Mal auf und lag reglos da. Die mächtigen Kiefermuskeln
entspannten sich.
Mit einem verzweifelten Schrei riss Nona sein Maul auf, und die Zähne des Schjacks gaben endlich ihr schmerzendes Bein frei.
Mit ihrem gesunden Bein stieß sie den Kadaver zur Seite. Ihr Kopf schwindelte, und sie hätte das Bewusstsein verloren, wenn
sie nicht eine Stimme gehört hätte, die immer wieder ihren Namen rief.
Nona, Menschin, du darfst nicht schlafen. Hinaus aus der Höhle, solange Nona noch Kraft dazu hat!
Dawons Stimme hallte in ihrem Kopf nach. Nona stemmte sich mit letzter Kraft hoch und drückte sich an der Felswand entlang,
bis sie den Eingang fand, durch den sie gekommen war. Sie fühlte, wie warmes Blut ihr Bein entlangfloss, und ahnte, dass es
nicht das Blut des Schjacks war, sondern ihr eigenes.
Das Loch zum Felsschacht lag etwa in Höhe ihrer Brust. Nona brauchte einige Versuche, bis sie es schaffte, sich hochzuziehen
und vorwärts zu schieben. Außer Atem blieb sie liegen und rang nach Luft. Wieder rief Dawons Stimme, dass sie nicht aufgeben
durfte, dass sie weiter kämpfen musste. Mit reiner Willenskraft riss Nona sich zusammen. Ihre Hände krallten sich in vorspringenden
Steinen und jeder Nische fest, an der sie Halt fanden.
Schließlich, als die Kraft sie verließ, blieb sie erneut liegen und
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