Blutseele
unbedingt zu dem Konzert gehen wollen. Ich betrauerte die verlorene Chance, als ich ein Stechpalmenblatt von der Tischdekoration abschnitt. Das sollte dem Zauber eine gewisse Aura des Schutzes verleihen. Anscheinend würde ich eine Tür öffnen, und die Stechpalme stellte sicher, dass mit der Essenz meines Dads nicht auch noch irgendetwas Übles hindurchhuschte.
Meine Hände zitterten vor Nervosität. Ich musste das richtig machen. Und ich musste es schaffen, ohne dass Mom etwas davon erfuhr. Sollte sie Dads Geist sehen, würde es sie zerstören – zurückschleudern in den furchtbaren Zustand, in dem sie vor fünf Jahren gewesen war. Dad zu sehen würde schon mir schwer genug fallen. Aber nach der Beschreibung unter »gewünschte Ergebnisse« war ich mir nicht mal sicher, wie körperlich sein Geist sein würde. Wenn wir ihn nicht sehen konnten, würde Robbie mir niemals glauben, dass ich es richtig gemacht hatte.
Ich verwendete die silberne Schere meiner Mom, um das Stechpalmenblatt in kleine Stücke zu schneiden, bevor ich es in den Wein fallen ließ. Meine Finger zitterten immer noch, aber ich wusste, dass es Nervosität war; ich hatte nicht genug getan, um erschöpft zu sein, egal, wie schnell ich gewöhnlich ermüdete. Mit einer Hand packte ich den Tiegel, mit der anderen zerstieß ich mit aller Kraft die Stechpalmenstückchen. Die Erschütterungen drohten, die Zitronensaft-Eiben-Mischung umzuwerfen, die ich vorher abgemessen hatte, also stellte ich sie auf die Arbeitsplatte hinter mir.
Zitronensaft sollte die Aufmerksamkeit des Geistes erregen und ihn erwecken. Die Eibe half mir dabei, mit ihm zu kommunizieren. Der Zauber wirkte nicht auf jeden Geist – nur auf diejenigen, deren Seelen unruhig waren. Aber mein Dad konnte nicht in Frieden ruhen. Nicht nachdem er so gestorben war.
Mein Blick verschwamm, und ich rammte den Stößel in den Mörser, als der alte Schmerz wieder aufstieg. Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich auf Robbies Stimme, der meiner Mutter irgendetwas darüber erzählte, wie schön das Wetter in Portland war, während seine Stimme fast von einem Sonnwend-Cartoon über Jack Frost übertönt wurde. Er klang nicht im Geringsten wie mein Dad, aber es war trotzdem nett, seine Stimme wieder neben der von Mom zu hören.
»Wie lange trinkt Rachel schon Kaffee?«, fragte er und brachte meine Mom damit zum Lachen.
Zwei Jahre, dachte ich. Mein Arm wurde müde, und mein Puls beschleunigte sich, während ich arbeitete. Dreck, kein Wunder, dass Mom aufgehört hat, ihre eigenen Zauber anzufertigen.
»Seitdem du angerufen hast, um zu sagen, dass du kommst«, antwortete meine Mom. Sie wusste nicht, dass ich im College immer Kaffee trank, um mich den älteren Studenten besser anzupassen. »Sie bemüht sich so sehr, erwachsen zu sein.«
Den letzten Satz seufzte sie fast, und ich runzelte die Stirn.
»Mir gefiel es nicht, dass sie all diese College-Kurse be legt«, fuhr sie fort, ohne zu wissen, dass ich sie hören konnte. »Aber ich nehme an, es ist mein eigener Fehler, weil ich sie Klassen habe überspringen lassen. Ich konnte sie ja in ihrer Krankenzeit nicht einfach zu Hause sitzen und fernsehen lassen, und wenn sie den Stoff schon konnte, was sollte so schlimm daran sein, sie hier und da ein Semester überspringen zu lassen?«
Ich runzelte die Stirn und blies mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. In den ersten vier Jahren meiner Schulzeit war ich so oft im Krankenhaus gewesen, dass meine Mom mich quasi zu Hause unterrichtet hatte. Theoretisch eine gute Idee, aber wenn man nach drei Monaten zurückkommt und den Fehler macht, sich anmerken zu lassen, wie viel man weiß, wird der Schulhof schnell zur Folterkammer.
Robbie gab ein unhöfliches Grunzen von sich. »Ich glaube, es ist gut für sie.«
»Oh, ich behaupte ja nicht das Gegenteil«, antwortete meine Mom schnell. »Mir hat es nur nicht gefallen, dass sie zwischen all diesen verdammten älteren Männern rumgerannt ist.«
Ich seufzte, aber ich war an die Sprache meiner Mom gewöhnt. Sie war dreckiger als meine, was ziemlich stank, wenn sie mich beim Fluchen erwischte.
»Männer?« In Robbies Stimme klang ein Lachen mit. »Sie sind gar nicht so viel älter als sie. Rachel kann auf sich aufpassen. Sie ist ein gutes Mädchen. Außerdem wohnt sie ja immer noch zu Hause, richtig?«
Ich zog eine meiner Haarsträhnen aus der Mischung und fühlte ein kurzes Ziepen, als sie sich unter dem Mörser verfing. Mein Arm tat weh, und ich fragte mich,
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