Blutseele
zur Tür. »Lass mich dir eine Tasse Kaffee einschenken. Was führt dich so früh am Morgen her?«
Der Mann, der durch die Fliegentür trat, wirkte müde. Seine Uniform hing verknittert und ein wenig zu locker um seinen Körper. Er war im selben Alter wie Lillys Mutter und arbeitete eigentlich nur noch, weil er jeden kannte und es einfach nicht schaffte aufzuhören. Pepper rannte auf ihn zu, und geistesabwesend kraulte er dem Hund die Ohren, während er erst Emily, dann Lilly zunickte. »Morgen, Em. Lilly. Ihr habt nicht zufällig heute Morgen Kevin irgendwo gesehen?«, fragte er. Sorge schwang in seiner rauen Raucherstimme mit, während er den unbenutzten Teller auf dem Tisch musterte.
Ein Stich von Angst durchschoss Lilly, und sie erstarrte. Sie würden ihr ihre Kinder wegnehmen. Sie einsperren. »Ges tern Abend, warum?«, presste sie hervor, während sie mit zitternden Fingern den Tisch leerräumte. Hinter ihr wanderte ihre Mutter Richtung Kaffeekanne.
Aaron trat von einem Fuß auf den anderen und wirkte nicht im Geringsten wie ein Polizist, sondern nur wie ein be sorgter Vater. »Wir haben heute Morgen seinen Truck an Perrots Weide gefunden, und der Kaffee in der Thermoskanne war noch warm. Du hast ihn gestern Abend gesehen?«
O Gott. Sie hatte ihn umgebracht. Was, wenn Penn von Anfang an nur eine Einbildung gewesen war, ins Leben gerufen von ihrer Wut und der Demenz ihrer Mutter? Vielleicht hatte sie Kevin unterbewusst umbringen wollen. Was, wenn sie selbst verrückt war? »Ungefähr um neun«, hörte sie sich selbst sagen, während sie Messer und Gabel wegräumte und sich gleichzeitig darüber wunderte, wie normal ihre Stimme klang. »Die Mädchen sind gerade ins Bett gegangen. Ich wollte mit ihm reden, über …« Sie zögerte, weil sie nicht erwähnen wollte, dass sie sich Sorgen darum gemacht hatte, ob ihre Mutter verrückt wurde. »… über etwas«, beendete sie ihren Satz, drehte sich um und griff nach dem einfachen, weißen Teller. »Aber dann ist er wieder gefahren. Ist er gestern nicht nach Hause gekommen?«
»So wie es aussieht schon. Wisst ihr irgendetwas über die Explosion, die ich heute Morgen gehört habe?«
»Ich fürchte, das waren wir«, erklärte ihre Mutter, als sie eine dampfende Tasse Kaffee auf den Tisch stellte und Lilly eine warnende Hand auf die Schulter legte. »Ich weiß, ich hätte mir eine Erlaubnis holen müssen, aber ich hatte gehofft, wenn wir den Damm früh genug sprengen, merkt es niemand.«
Lilly bewunderte, wie ruhig ihre Mutter lügen konnte, während sie sich gleichzeitig fragte, ob sie diese Frau je gekannt hatte.
»Wir haben den Bach heute Morgen zurück in sein ursprüngliches Bett verschoben«, sagte sie, drückte noch einmal Lillys Schulter und kehrte zur Kaffeekanne zurück. »Die Mädchen werden älter, und ich möchte nächstes Jahr auf dem unteren Feld probeweise Bohnen anbauen. Wir haben genug, um durchzukommen, aber in ein paar Jahren braucht Meg Schulgeld, und solange der Bach vor unserem Haus vorbeiläuft, bringt er uns kein Geld ein.«
»Ihr wart beide bei Rock Island?«
Aaron klang nicht überzeugt. Lilly drehte sich zu ihm um, und irgendwie gelang es ihr, ihn anzulächeln, während sie sich gegen die Arbeitsfläche lehnte. Der Staub und Dreck der Explosion klebten auf ihr wie ihre eigenen Lügen, während sie sagte: »Den ganzen Morgen. Du wirst uns nicht melden, oder? Es war unser letztes Dynamit.«
Aaron sah zu ihrer Mutter, dann zurück zu Lilly. »Lilly, ich weiß, dass du mit Kevin gestritten hast.«
Angst durchfuhr ihren Körper. Sie würden sie mitnehmen und einsperren. Sie würde ihre Mädchen niemals wiedersehen. »Er wollte wissen, ob es noch eine Chance für uns gibt. Ich habe ihm gesagt, er soll verschwinden«, erklärte sie ruhig.
»Das will ich auch hoffen!«, sagte ihre Mutter, als sie Lilly eine dampfende Tasse Kaffee in die Finger zwang und ihr eine Hand auf die Schulter legte. »Ich liebe deinen Sohn, als wäre es mein eigener, Aaron, aber er ist ein Narr, der seine Hose nicht anbehalten kann. Wenn er Greenwood nicht verlassen hat, weil ihm alles so peinlich ist, dann taucht er sicher früher oder später wieder auf. Ich habe dir einen Kaffee hingestellt. Willst du dich nicht ein wenig ausruhen?«
Aaron schenkte Lillys Mutter einen langen Blick. Draußen hörte man, wie die Mädchen im austrocknenden Bachbett spielten, und Pepper jaulte, weil sie zu ihnen wollte. »Danke, Em. Gerne«, sagte er schließlich. Mit misstrauisch
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